Die Verbreitung von Patientenkomplexität scheint in den Gesundheitssystemen weltweit zuzunehmen. Klar ist auch: Je komplexer ein Patient, desto mehr Zeit und Ressourcen sind für eine optimale Versorgung erforderlich – was wiederum Auswirkungen auf die Tarifstruktur nehmen sollte.
Doch welche Spezialisten behandeln die komplexesten Fälle? Bislang gab es nur Erfahrungswerte, empirische Daten fehlten. Diese Lücke haben nun Mediziner um
Marcello Tonelli von der Universität Calgary in Kanada geschlossen.
Die Forscher verglichen Daten von insgesamt über 2,5 Millionen Patienten zwischen 32 und 59 Jahren. Das Medianalter: 46 Jahre. Fast 22'000 Menschen sind im Analysezeitraum zwischen April 2014 und März 2015 verstorben.
Infektiologen, Nephrologen und Neurologen
Eines der Resultate: Patienten, die von Infektiologen, Nephrologen und Neurologen behandelt wurden, waren den statistischen Analysen zufolge durchweg komplexer. Patienten von Endokrinologen, Allergologen/Immunologen und Dermatologen hingegen wiesen weniger Komplexität auf.
Da es keine einheitliche Definition der Patientenkomplexität gibt, bildeten die Studienautoren die Messgrösse für die Komplexität mit neun Kriterien ab.
- Anzahl der Begleiterkrankungen (Komorbidität)
- Vorliegen einer psychischen Erkrankung
- Anzahl der an der Behandlung beteiligten Ärzte aus verschiedenen Fachgebieten
- Anzahl der an der Behandlung beteiligten Ärzten
- Anzahl der verordneten Medikamente
- Anzahl der Besuche in der Notaufnahme
- Mortalität
- Hospitalisierungsrate
- Rate der Unterbringung in einer Langzeitpflegeeinrichtung
Vor allem Patienten von Nephrologen kamen im Rahmen der Sensitivitätsanalysen auf die höchste Anzahl an Komorbiditäten. Sie nahmen zudem am meisten Medikamente ein und verzeichneten die höchste Sterberate sowie die höchste Platzierungsrate in einer Langzeitpflegeeinrichtung.
Die Gesamtrangliste, von der höchsten zur tiefsten Komplexität
- Nephrologie
- Infektiologie
- Neurologie
- Pneumologie
- Hämatologie
- Rheumatologie
- Gastroenterologie
- Kardiologie
- Allgemeiner Innere Medizin
- Endokrinologie
- Allergologie / Immunologie
- Dermatologie
- Hausarzt
Übersicht nach Komplexitätskriterium und Fachgebiet | Jama
Auswirkungen auf die Ausbildung
Für die Studienautoren, vorwiegend Nephrologen, sei die Rangliste weniger wichtig als die Tatsache, dass die Komplexität zwischen den einzelnen Fachgebieten stark variiere. Onkologen und Geriater wurden in der Analyse übrigens nicht berücksichtigt. Der Grund: abrechnungsspezifische lokale Aspekte.
Die Ergebnisse haben laut den Wissenschaftlern nicht nur Auswirkungen auf die Gesundheitspolitik, sondern auch auf die medizinische Ausbildung: Denn die Fähigkeiten im Umgang mit komplexen Patienten seien für manche Fachgebiete einfach wichtiger als für andere, so die Forscher.
Marcello Tonelli, Natasha Wiebe, Braden J. Manns, Scott W. Klarenbach, Matthew T. James, Pietro Ravani, Neesh Pannu, Jonathan Himmelfarb, Brenda R. Hemmelgarn: «Comparison of the Complexity of Patients Seen by Different Medical Subspecialists in a Universal Health Care System», in: «JAMA Network Open», 30. November 2018.