Zürcher Studie: Nutzen von Cholesterinsenkern wird stark überschätzt

Eine Studie der Universität Zürich zeigt: Die präventive Einnahme von Statinen wird zu oft empfohlen – vor allem bei Senioren. Ein neues Modell verspricht nun, Nutzen und Schaden besser gegeneinander abzuwägen.

, 9. Dezember 2018 um 05:00
image
  • forschung
  • statine
  • universität zürich
  • medikamente
Cholesterinspiegel, Bodymassindex und Rauchen: Auch gesunde Personen ohne Herz-Kreislauferkrankung bekommen bei gewissen Risikofaktoren cholesterinsenkende Medikamente verschrieben. Mit diesen Statinen sollen etwa Herzinfarkte oder Hirnschläge vermieden werden. Dabei existieren gewisse Schwellenwerte für das Risiko, meistens sind das Empfehlungen von kardiologischen Gesellschaften.
Demnach müssten über ein Drittel aller 40- bis 75-Jährigen präventiv Cholesterinsenker einnehmen – weltweit wären dies Hunderte Millionen von Menschen. 
Doch laut einer neuen Studie der Universität Zürich (UZH) wurde der Effekt von Nebenwirkungen bei der Erstellung von Richtlinien kaum berücksichtigt: etwa Muskelschmerzen, Grauer Star, Leberschäden oder Diabetes. Hier eine gute Balance zwischen Nutzen und schädlichen Nebenwirkungen zu finden, sei eine grosse Herausforderung.

Modell zum Nutzen und Nebenwirkungen

Letztendlich werde durch die präventive Einnahme nur bei wenigen Personen ein Herzinfarkt oder ein Hirnschlag vermieden, sagt Milo Puhan, Studienautor und Professor für Epidemiologie und Public Health an der UZH. Aber: Alle Personen könnten potentiell Nebenwirkungen durch Cholesterinsenker erleiden.
Henock G. Yebyo, MSc; Hélène E. Aschmann, MSc; and Milo A. Puhan: «Finding the Balance Between Benefits and Harms When Using Statins for Primary Prevention of Cardiovascular Disease - A Modeling Study», in: «Annals of Internal Medicine» December 3, 2018.
Puhan und sein Team vom Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention haben nun eine statistische Modellierung zum Nutzen und den Nebenwirkungen durchgeführt. Die Forschenden trugen alle Daten aus der gesamten Fachliteratur zusammen oder befragten gesunde Personen, welche Bedeutung Herzinfarkte, Hirnschläge und bestimmte Nebenwirkungen für sie haben.
«Es hat sich gezeigt, dass Statine heute wohl deutlich zu häufig empfohlen werden», fasst der Mediziner und Institutsdirektor Puhan (1975) von der Universität Zürich die Ergebnisse der Studie zusammen.

Zwei Präparate haben eine deutlich bessere Balance

Die Wissenschaftler berechneten auf der Grundlage der Daten zudem gleich neue Schwellenwerte für Männer und Frauen in verschiedenen Altersgruppen zwischen 40 und 75 Jahren. Vor allem bei der Altersgruppe der 70-75-Jährigen Senioren wurde laut der Studie der Nutzen von Statinen bis jetzt anscheinend stark überschätzt. 
Durch die vom Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention neu errechneten Schwellenwerte könnte sich die Zahl der Menschen halbieren, die eine Empfehlung für Statine erhalten, schätzen die Studienautoren.
Die Forschenden stellten zudem fest, dass zwei der vier untersuchten Statin-Präparate, nämlich Atorvastatin und Rosuvastatin, eine deutlich bessere Balance von Nutzen und Schaden aufwiesen, als die beiden anderen (Simvastatin und Pravastatin).
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Medikamente erstmals grösster Kostenblock in der Grundversicherung

Erstmals liegen die Ausgaben über 9 Milliarden Franken. Mehrere Faktoren spielen hinein: teure Neueinführungen, Mengenausweitung, zusätzliche Indikationen, höherer Pro-Kopf-Verbrauch.

image

Antibiotika in der Schweiz: Rückgang mit Ausnahmen

Von 2015 bis 2022 sank der Antibiotikaverbrauch in der ambulanten Versorgung deutlich. Doch nicht alle Fachrichtungen zeigen den gleichen Trend.

image

Bürokratie-Fiasko beim Zugang zu Medikamenten

Eine internationale Studie zeigt: Bürokratie ist in der Schweizer Gesundheitsversorgung ein grosses Problem. Gleichzeitig erschweren veraltete Prozesse den Zugang zu innovativen Medikamenten. Lösungen lägen auf dem Tisch – doch die Politik droht, die Situation noch zu verschlimmern.

image

EU gibt Novartis grünes Licht für Kisquali gegen Brustkrebs im Frühstadium

Der Wirkstoff Ribociclib soll insbesondere Patientinnen helfen, bei denen das Risiko besteht, dass sie einen Rückfall erleiden.

image

Antibiotika-Therapie: In Praxen und Kliniken immer noch suboptimal

In Baden-Württemberg erforschte man den Antibiotika-Einsatz in zehn Spitälern. Heraus kam ein halbes Dutzend heikler Punkte.

image

Mehr als die Hälfte der Medikamente war zu teuer

Nach der diesjährigen Arzneimittelüberprüfung des BAG sinken die Listenpreise von 300 Produkten.

Vom gleichen Autor

image

Arzthaftung: Bundesgericht weist Millionenklage einer Patientin ab

Bei einer Patientin traten nach einer Darmspiegelung unerwartet schwere Komplikationen auf. Das Bundesgericht stellt nun klar: Die Ärztin aus dem Kanton Aargau kann sich auf die «hypothetische Einwilligung» der Patientin berufen.

image

Studie zeigt geringen Einfluss von Wettbewerb auf chirurgische Ergebnisse

Neue Studie aus den USA wirft Fragen auf: Wettbewerb allein garantiert keine besseren Operationsergebnisse.

image

Warum im Medizinstudium viel Empathie verloren geht

Während der Ausbildung nimmt das Einfühlungsvermögen von angehenden Ärztinnen und Ärzten tendenziell ab: Das besagt eine neue Studie.