Zürich: Aufstand der Regionalspitäler

Gleich reihenweise rufen die Zürcher Spitäler das Bundesverwaltungsgericht an: Das neue Fallzahlen-Regime der Kantonsregierung verstosse gegen Treu und Glauben.

, 2. Oktober 2017 um 13:17
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Die vom Zürcher Regierungsrat erhöhten beziehungsweise die für Operateure neu geplanten Mindestfallzahlen stossen in den betroffenen Regionalspitälern nun definitiv auf geballten Widerstand.
Bekanntlich hatten bereits die Direktoren des See-Spitals sowie des Spitals Bülach angedroht oder angekündigt, den Rechtsweg zu beschreiten. Nun melden alle in der «IG Primärspitäler» zusammengeschlossenen Häuser, dass sie juristisch gegen die Pläne der Gesundheitsdirektion vorgehen wollen.

Wettbewerbsfähigkeit und Wohnorts-Nähe

Ende August hatte die Kantonsregierung beschlossen, dass bei zusätzlichen Eingriffen Mindestfallzahlen gelten sollen; und ab 2019 gibt es bei gewissen Operationen auch Mindestfallzahlen pro Chirurg. Für Unmut sorgte auch, dass die Kantonsregierung beantragte Leistungsaufträge nicht erteilte beziehungsweise bestehende Aufträge kündigte.  
Das Paket beeinträchtige die Wettbewerbsfähigkeit, die Vorteile der wohnortsnahen Versorgung der Bevölkerung, die Attraktivität der Spitäler sowie die Rechtssicherheit – so nun die Argumentation der Interessengemeinschaft.
Obendrein werde die Rechts- und Planungssicherheit der Spitäler untergraben; die kurzfristige Anpassung widerspreche dem Gebot von Treu und Glauben.

Was bringt's wirklich?

Es dürfe nicht sein, dass die Spitäler Operationen einer gewissen Art durchführen, nur um besser dazustehen. Und überhaupt liege dem Regierungs-Eingriff «keine Gesamtstrategie zugrunde, die diesen Schritt rechtfertigen würde», so die «IG Primärspitäler» weiter.
Die Interessengemeinschaft war im Sommer gegründet worden, als im Vernehmlassungsverfahren die politische Tenden zur weiteren Zentralisierung spürbar wurde. Sie vereinigt das See-Spital, den Spitalverband Limmattal, das Spital Bülach, das Spital Uster, das Spital Männedorf, das GZO Spital Wetzikon, das Spital Zollikerberg, das Spital Affoltern am Albis, das Paracelsus-Spital Richterswil und das Spital Limmatklinik.
Obendrein sei nicht einmal belegt, dass diese Änderungen der Gesundheitsdirektion für höhere Qualität sorgten, befinden die Spitäler weiter.

Wer, wie, warum? Einige Beispiele

Für das Spital Limmattal hat der Beschluss der Regierung kurzfristig keine Folgen. Das bestehende Leistungsspektrum könne den Patienten weiterhin vollumfänglich und in hoher Qualität angeboten werden, teilt die Direktion mit. Trotzdem schliesst sich das Spital der Beschwerde an; es gehe auch darum, etwas gegen den immer höheren Regulierungsdichte zu unternehmen.
Ähnlich argumentiert das Paracelsus-Spital Richterswil: Der Regierungsbeschluss habe kurzfristig keine Folgen. «Wir stehen aber kritisch dem steigenden Regulierungsausbau gegenüber und sehen die hohe Qualität im Zürcher Gesundheitswesen bedroht».

Wie sinnvoll sind Mindestfallzahlen in der gynäkologischen Chirurgie? Einschätzungen von Eduard Vlajkovic, dem Chefarzt der Frauenklinik am Spital Zollikerberg.

Das Spital Affoltern ist betroffen, weil dort künftig beispielswiese keine Hüft- und Knieprotesen mehr eingesetzt oder ausgewechselt werden dürften. «Für uns ist das ein klarer Wettbewerbsnachteil», sagt Direktor Michael Buik: «Wir haben Beschwerde eingereicht weil wir den Grundversorgungauftrag weiterhin mindestens in diesem Ausmass erbringen wollen. Denn die Nähe zu unseren Patientinnen und Patienten ist unsere Stärke und soll auf keinen Fall wegreguliert werden.»
Das Spital Zollikerberg ist in zwei Fachbereichen von den neuen Vorschriften betroffen. Zum einen sollen die Orthopäden und Traumatologen künstliche Hüft- oder Kniegelenke nur noch ersetzen dürfen, wenn sie 50 Erstimplantationen pro Jahr durchführen. Wer Erstoperationen beherrscht, ist aber nicht automatisch für Revisionseingriffe qualifiziert. Die neue Vorschrift sei somit nicht sachgerecht. Das zweite Streitfeld ist die gynäkologische Tumorchirurgie. Hier erachtet das Spital Zollikerberg die Mindestfallzahlen pro Spital als zu hoch: Sie liegen bei 20, während sie in der Herzchirurgie nur bei 10 liegen. Auch pro Operateur sollen 20 jährliche Eingriffe die Norm sein.
Die Regionalspitäler in Wetzikon und Uster schliessen sich an, weil es ihnen stark um die Bewahrung einer wohnortsnahen Versorgung geht. Beide Spitäler wollen zudem die Möglichkeit haben, neue Leistungsaufträge anzubieten, wenn sie über die notwendige Infrastruktur und Kompetenz verfügen. 
Das See-Spital verliert seinen Leistungsauftrag für die spezialisierte Wirbelsäulenchirurgie, da die Fallzahlen hier zu tief sind. Im Grunde aber habe Regierungspaket immer noch geringfügige Folgen für das Haus in Horgen und Kilchberg , urteilt die Direktion. Dennoch: Die längerfristigen Auswirkungen auf die Spitäler der Region seien fatal. Das See-Spital schliesst sich also dem Rechtsweg an, weil dieser vorzeitige Eingriff in die noch gültige Spitalplanung einer sukzessiven Verstaatlichung gleichkomme.  Dieser Weg führe «letzten Endes zu einer Zentralisierung der Spitalgrundversorgung».

Mehr: Die Regionalspitäler bauen Lobbydruck auf


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