Zweimal Nein: Die Schweizer Stimmbevölkerung hat am vergangenen Wochenende wichtige gesundheitspolitische Entscheide getroffen. Und es geht Schlag auf Schlag weiter: In den kommenden Tagen könnte der Bundesrat am Zug sein.
Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider hat in Aussicht gestellt, dass sie dem Kollegium «noch im Juni» die Einführung eines revidierten Arzttarifs vorlegen wird. Was unter dem sperrigen Begriff «Tardoc» und «ambulante Pauschalen» sehr abstrakt klingt, hätte insbesondere für die Kinderspitäler in der Schweiz enorme, vor allem positive finanzielle Konsequenzen.
Marc-André Giger ist Präsident des Verwaltungsrates des Universitäts-Kinderspitals beider Basel (UKBB) und in der Beratung von Spitälern und Kliniken tätig; von 1996 bis 2006 war er Direktor von Santésuisse.
Denn mit den Eingriffen des Bundesrates 2014 und 2018 in den veralteten ambulanten Tarmed-Tarif hat sich die Situation dramatisch verschlechtert. Jährlich entsteht bei über 600’000 erbrachten Konsultationen ein Defizit von mehr als 100 Millionen Franken in den eigenständigen und universitären Kinderspitälern (Basel, Bern, Genf, Lausanne, Zürich, St. Gallen).
Und der Trend zum Verlust beschleunigt sich: Je mehr ambulante Fälle die Kinderspitäler haben, desto mehr kommen sie ins Minus. Die Zahl der ambulanten Patientinnen und Patienten in den allgemeinen Krankenhäusern stieg zwischen 2016 und 2022 um 33 Prozent. Das UKBB machte so schon vor Corona rund 3,6 Millionen Franken Verlust im Jahr – allein mit den Notfällen.
«Da braucht es – im Vergleich zum Erwachsenen – deutlich mehr Zeit und Personal. Aber die Abgeltung ist genau dieselbe.»
Klar ist: Kinder versucht man möglichst immer ambulant zu behandeln und mit den Eltern wieder nach Hause zu schicken. Dies spiegelt sich auch in den Zahlen. Das UKBB hatte letztes Jahr 113’000 ambulante Behandlungen, aber nur 6000 stationäre Patienten. Und der Trend geht weiter in Richtung «ambulant».
Was ökonomisch sinnvoll und den Bedürfnissen der Kinder und deren Eltern gerecht wird, reisst immer tiefere Löcher in die Erfolgsrechnungen der Kinderspitäler: Aktuell verfügen die erwähnten Spitäler im gesamtschweizerischen Schnitt über einen Kostendeckungsgrad von nur 70 Prozent.
Behandlungen bei Kindern sind besonders defizitär, weil dieselben Leistungen hier zum Teil gleich hoch vergütet werden wie für Erwachsene. Und da beginnt die Herausforderung: Muss bei einem Kind eine Untersuchung im Magnetresonanz-Tomographen gemacht werden, so muss es intensiv betreut werden. Man muss im gut zureden. Ihm die Angst nehmen. Allenfalls muss es sediert werden. Da braucht es – im Vergleich zum Erwachsenen – deutlich mehr Zeit und Personal. Aber die Abgeltung ist genau dieselbe.
«Eine Einführung würde dazu führen, dass sich die Kostendeckung deutlich verbessern würde; dies haben die Simulationen und Berechnungen im UKBB gezeigt.»
Ein weiteres Beispiel: Die bezahlte Zeit für Konsultationen in der spezialisierten Kinder- und Jugendmedizin ist auf 20 Minuten limitiert. Sind die Kinder unter 6 Jahre alt oder ist der Fall besonders komplex, dann können auch 30 Minuten abgerechnet werden. Die Praxis im UKBB zeigt aber: Oft werden 60 Minuten oder mehr benötigt pro Konsultation. Es kann also gut sein, dass pro Behandlung 30 Minuten «gratis» gearbeitet wird.
Die oben erwähnten Beispiele verdeutlichen: In einem neuen Einzelleistungstarif wie dem Tardoc lassen sich diese Aspekte besser abbilden. Eine Einführung würde dazu führen, dass sich die Kostendeckung deutlich verbessern würde; dies haben die Simulationen und Berechnungen im UKBB gezeigt.
Klar ist: Die Zeit drängt
Auch Pauschalen für einfache, standardisierte Eingriffe wären denkbar. In diesem Sinne unterstützen wir den Bundesrat, wenn er beide Elemente (Einzelleistungstarif und Pauschalen) gleichzeitig einführen möchte, um die Kohärenz des Systems zu gewährleisten.
Klar ist einfach: Die Zeit drängt, dass sich das Gesundheitswesen auf den Weg macht hin zu einer langfristigen Sicherung der Finanzierung und vor allem der Behandlungsqualität in der Kindermedizin. Der Bundesrat könnte hierzu in den nächsten Tagen den ersten Schritt tun. Eine kleine Geste mit grosser Wirkung.