«Die Frage ist doch: Was sind uns unsere Kinder wert?»

Christoph Berger war das Gesicht der Covid Impfstrategie. Als Kinderarzt kämpft er für die bestmögliche Medizin seiner kleinen Patienten, zugleich macht ihm die ungenügende Finanzierung der Kindermedizin zu schaffen.

, 14. Mai 2023 um 18:24
image
Christoph Berger, Gewinner des Viktor 2022 in der Kategorie «medizinische Meisterleistung»
Sie haben Ende März den Viktor 2022 in der Kategorie «medizinische Meisterleistung» gewonnen. Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung? Es ist für mich eine grosse Anerkennung für meine Arbeit als Kinderarzt aber auch als Präsident der nationalen Kommission für Impffragen EKIF. Die Auszeichnung sehe ich daher auch als Anerkennung, dass unsere Impfstrategie während der Pandemie verstanden worden ist.
Als «Impfpapst der Nation», wie Sie oft betitelt wurden, haben Sie drei turbulente Jahre hinter sich. Was waren rückblickend die grössten Herausforderungen? Ich bin seit 2015 Präsident der Impfkommission. Was wir in den vergangenen drei Jahren erlebt haben, war eine komplett andere Aufgabe und hat uns bis an die Grenzen gefordert. Zugleich war es eine spannende und lehrreiche Zeit. Die Bewältigung einer Pandemie mit unterschiedlichen Meinungen und Ansichten kann nur funktionieren, wenn man aufeinander zugeht und versucht, gemeinsam ans Ziel zu gelangen. Herausfordernd war für mich auch die dauernde Medienpräsenz.
Sie mussten so einiges an Kritik einstecken – den einen war Ihre Haltung zum Boostern und zur Covid-Impfung bei Kindern zu defensiv, den anderen war Ihre Impfstrategie zu forsch. Wie sind Sie mit diesen unterschiedlichen Erwartungen umgegangen? Ich habe mich immer klar positioniert und etwa gesagt, dass die Kinderimpfung gegen Covid ein individueller Entscheid sein muss. Die Impfstrategie in der Schweiz war risikobasiert: zuerst wurde sie jenen Personen mit hohem Risiko angeboten und empfohlen, dann weiter entsprechend dem abnehmenden Risiko. Kinder gehörten bei Covid-19 nicht zur Risikogruppe. Da ich voll hinter der Impfstrategie stehe, konnte ich mit Kritik und unterschiedlichen Erwartungen gut umgehen.
«Wenn man im Gesundheitsbudget schaut, wieviel für die über 80-Jährigen ausgegeben wird und wieviel die Kindermedizin beansprucht, ist das ein Witz.»
Wie haben Sie die erste Hälfte des laufenden Jahres erlebt? Es ist ein Schritt zurück in die Normalität. Wir führen die Anstrengungen rund ums Impfen in der Schweiz weiter aber mit den Erfahrungen der Pandemie. Unser Ziel ist die stete Aktualisierung des Impfplans; es ist ein zentrales Präventionsinstrument! Zugleich leben wir jetzt mit dem SARS-CoVirus 2 und dabei spielen die Impfungen weiterhin eine Rolle, jedoch eine geringere.
Laut einer amerikanischen Studie hat die Corona-Pandemie die Impfskepsis gegenüber dem empfohlenen Impfplan bei Kindern erhöht. Stellen Sie eine solche Tendenz auch in der Schweiz fest? Während der Pandemie war eine grössere Impfskepsis spürbar, aktuell stelle ich keine solche Tendenz fest. Auch bei den Umsatzzahlen der Impfstoffhersteller sehen wir keinen dadurch bedingten Rückgang der Impfung von Kindern. Die Studie zeigt, dass vor allem jene Länder betroffen sind, die lange Lockdowns und Schulschliessungen hatten und jene, die viele Kinder gegen Covid impfen wollten und entsprechend Druck auf die Eltern ausübten.
Wie gehen Sie mit Eltern um, die ihre Kinder nicht gegen die empfohlenen Basisimpfungen impfen lassen möchten? In der Schweiz sind gut 90 Prozent aller Kinder unter 2 Jahren gemäss dem empfohlenen Impfplan geimpft. Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen möchten, haben oft Angst vor möglichen Impfnebenwirkungen. Ich höre diesen Eltern zu, nehme ihre Sorgen ernst und gehe darauf ein. Zugleich zeige ich ihnen die Wichtigkeit der Impfprävention auf.
Ihren eigentlichen Job, nämlich die Leitung der Infektiologie am Zürcher Universitäts-Kinderspital, haben Sie während der Pandemie über weite Strecken auf Eis gelegt. Worauf liegt aktuell Ihr medizinischer Fokus? Die Leitung dieser Abteilung ist mein Kerngeschäft und meine Basis. Wir beziehen im Herbst 2024 das neue Kinderspital und ich bin derzeit aktiv in den Planungsprozess involviert. Ziel ist es, für das Kind im Spital ein bedürfnisgerechtes Setting zu bieten. Zugleich beschäftigte ich mich nach wie vor damit, die Grundlagen für Dosierungen bei der Kindermedikation weiter zu verbessern.
Wo sehen Sie derzeit die grössten Herausforderungen in der Kindermedizin? Hospitalisierte Kinder mit schweren Grunderkrankungen stellen uns vor grosse Herausforderungen. In den Kinderspitälern haben wir überproportional viele solche Kinder. Diese Spitalversorgung ist sehr aufwändig und erfordert immer mehr eine hochspezialisierte Medizin, wie bei Erwachsenen. Diese Behandlungen sind sehr teuer und die Finanzierung der Kindermedizin nicht ausreichend gedeckt.
Kantone und Kinderspitäler fordern seit Jahren vom Bundesrat die Tarife in der Kindermedizin zu erhöhen. Was läuft hier schief? Wenn man im Gesundheitsbudget schaut, wieviel für die über 80-Jährigen ausgegeben wird und wieviel die Kindermedizin beansprucht, ist das ein Witz. Da stellt sich doch die Frage: Was sind uns unsere Kinder wert? Der Anteil an Kindern mit Grunderkrankungen, die hohe Kosten verursachen, ist klein. Wir müssen es uns leisten können, diesen Kindern die beste Medizin zu ermöglichen; sie haben das Leben noch vor sich. Aber: die Kinderspitäler haben die Finanzen dazu nicht! Auch der Personalmangel macht uns schwer zu schaffen: seit der Pandemie können wir permanent eine zweistellige Zahl an Betten nicht betreiben.
Kommen überfüllte Notfallstationen und anspruchsvolle Eltern hinzu… So ist es. Die hohen Ansprüche sind kombiniert mit einer Verunsicherung, welche durch den extremen Informationsfluss entsteht. Es fehlt heute oft die Mehrgenerationen Familie und das «Dörfli Setting», wo man sich Tipps bei der erfahrenen Tante oder Oma holen könnte. Kränkelt ein Kind, möchten das die Eltern auch abends um neun abklären und landen auf dem Notfall. Hier sind wir aber mit der Betreuung von schwerkranken Kindern beschäftigt. Was fehlt sind Alternativen zur Notfallstation.
Trotz allem sind Sie leidenschaftlicher Kinderarzt. Was fasziniert Sie an der Kindermedizin? Ich liebe meinen Beruf und kann mir kaum eine schönere Tätigkeit vorstellen. Die permanente Entwicklung eines Kindes mitzuerleben, fasziniert mich täglich aufs Neue.
Wie schalten Sie vom Alltag ab? Ganz unspektakulär: am liebsten verbringe ich Zeit mit meiner Familie, genauso brauche ich aber auch Momente für mich. Dabei kann ich wunderbar beim Nichtstun oder bei Gartenarbeiten abschalten.

Viktor 2022
Ein grosser Dank gilt unserem Hauptsponsor und Presenting Partner Johnson & Johnson sowie unseren Sponsoren: Die Post – Gesundheitslogistik, Hirslanden, Level Consulting, Medbase, Takeda sowie vips Vereinigung Pharmafirmen in der Schweiz.


  • kindermedizin
  • coronavirus
  • tarife
  • kinderspital zürich
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Massiv weniger Frühgeburten während Corona

Deutsche Daten zeigen verblüffende Abweichungen während der Lockdowns. Das könnte wichtige Einsichten für Neonatologie und den Umgang mit Risikoschwangerschaften eröffnen.

image

«Tückisch ist, dass die Symptome einer Sepsis so vielfältig sind»

Weltweit sterben jährlich rund 3 Millionen Kinder an Sepsis. Luregn Schlapbach, Chefarzt und Leiter der Intensivstation am Kispi Zürich, setzt sich für eine bessere Früherkennung ein.

image

Bundesrat zieht Lehren aus der Pandemie – zumal für Pflegeheime

Bei Epidemien sollen alte Menschen künftig stärker selber entscheiden können. Aber auch Jugendliche sollen psychisch besser betreut werden.

image

Arzt vor Gericht wegen angeblich gefälschten Covid-Zertifikaten

Einem 78-jährigen Arzt wird vorgeworfen, dass er rund 50 Impf- und 400 Genesenenzertifikate unrechtmässig ausgestellt habe.

image

Kispi Zürich: Neue Direktorin HRM

Christine Treml kommt von der Helsana. Sie wird auch Geschäftsleitungsmitglied am Kispi.

image

Neue App soll Kindergesundheit fördern

Prävention von Übergewicht und Asthma: Die Kinder- und Jugendpsychiatrie der UPD Bern und die Kinderklinik des Inselspitals haben dazu ein Forschungsprojekt gestartet.

Vom gleichen Autor

image

«Manche haben unrealistische Erwartungen an die Schweiz»

Die Schweiz erscheint für viele ausländische Ärzte als Traumland. Was es braucht, damit der Jobwechsel gelingt, erklären die Ärztevermittler Francesca und Jan Saner.

image

«Die Anspruchshaltung ist spürbar gestiegen»

Die Spitäler verspüren mehr Gewaltbereitschaft bei Patienten. Adrian Kaegi, ehemaliger Staatsanwalt für Gewaltkriminalität und Ärztefälle, über die Hintergründe.

image

«Das Spital wird als rechtsfreier Raum wahrgenommen»

Gewalttätige Patienten und Angehörige belasten das Gesundheitspersonal – doch Konsequenzen haben sie kaum zu fürchten. Das muss ändern, sagt Pflegefachmann und Aggressions-Trainer Stefan Reinhardt.