Für Intensivstationen gibt es fixe Personalvorgaben: Pro vier Intensivbetten braucht es zehn Vollzeit-Pflegestellen. Und auch für Pflegeheime machen viele Kantone strikte Vorgaben, wie viel Personal die Heime für ihre Bewohner anstellen müssen. Nur die Spitäler sind frei in ihrer Entscheidung, wie viel Pflegepersonal sie für ihren Betrieb einsetzen.
Darauf wartet das Pflegepersonal schon lang
Dabei erwartet das Pflegepersonal schon lange, dass auch für die Spitäler feste Regeln gelten, wie viel Personal es für einen Leistungsauftrag braucht. Yvonne Ribi, Geschäftsführerin des Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK), sagt im Interview, warum die Spitäler selber über ihre Personaldotation entscheiden können und was mit der Umsetzung der Pflege-Initiative ändern muss.
Frau Ribi, warum gibt es in der Alters- und in der Intensivpflege gesetzlich vorgeschriebene Minimalbestände an besetzten Pflegestellen, in Akutspitälern jedoch nicht?
Weil es in einigen Kantonen für die Pflegeheime gesetzliche Grundlagen gibt. Als Voraussetzung für den Erhalt der Betriebsbewilligung muss beispielsweise im Kanton Bern ein Alters- und Pflegeheim die behördliche Vorgabe bezüglich Anzahl Bewohnende und Fallschwere einerseits und Anzahl und Qualifikationen des Pflegepersonals andererseits einhalten. Bei den Intensivstationen ist es die Gesellschaft für Intensivmedizin, welche die Vorgaben macht. Diese Kriterien sind dann Voraussetzung für die Zertifizierung von Intensivbetten in einem Spital.
Für den Betrieb normaler Spitalbetten braucht es keine Zertifizierung, also können die Spitäler selber entscheiden, wie viele Pflegestellen sie besetzen.
Ja, bisher war die Personaldotation kein Kriterium für die Zulassung oder für den Leistungsauftrag eines Spitals. Das wollen wir nun aber mit der Umsetzung der Pflege-Initiative verbindlich erreichen.
Fachleute befürchten bereits, dass der SBK zu brav sei und keine fixe Dotation um jeden Preis anstrebe. Stimmt das?
Nein, das stimmt nicht. Eine bedarfsgerechte Personaldotation ist eine unserer Kernforderungen. Aber vielleicht ist ein falscher Eindruck entstanden. Denn wir wollen keine fixe Zahl im Gesetz.
Sondern?
Im Gesetz soll der Grundsatz stehen, dass ein Spital genug qualifiziertes Fachpersonal haben muss, um eine Betriebsbewilligung oder den Leistungsauftrag zu erhalten und auf eine Spitalliste zu kommen. Die tatsächliche Anzahl Pflegestellen muss aber für jeden medizinischen Fachbereich separat festgelegt werden.
Und das bestimmen wiederum die Spitäler selber?
Nein. Dazu gibt es eindeutige Erkenntnisse aus der Wissenschaft, welche zum Beispiel zeigen, dass es in der Orthopädie eine andere Personalaustattung braucht als etwa in der Onkologie. Diese Zahlen kann man nicht einfach über den Finger peilen und festlegen.
Und was heisst das nun zum Beispiel für die Onkologie. Wie viel Personal pro Patienten braucht es dort?
International gibt es Bemessungsgrundlagen, die müssen nun aber auf unsere Verhältnisse in der Schweiz angepasst werden. Ich will keine Mutmassungen anstellen, auf die wir später behaftet werden. Gemeinsam mit den Expertinnen im jeweiligen Fachbereich werden wir dafür eine Vorgabe festlegen. Wir sind daran, die Prozesse für das Erarbeiten der Vorgaben zu definieren.
Gibt es Argumente, die gegen eine fixe Dotation sprechen?
Nein, aus unserer Sicht führt nichts daran vorbei. Es gibt aus fachlicher und aus gesamtökonomischer Sicht keine Argumente dagegen, aber viele dafür: Die richtige Ausstattung mit diplomierten Pflegefachpersonen verbessert die Qualität der Patientenversorgung, verhindert Komplikationen und damit auch unnötig lange Spitalaufenthalte. Das ist durch die Forschung belegt. Es heisst zwar immer, dass feste Personalvorgaben beim derzeitigen Personalmangel illusorisch seien. Aber mit diesem Argument beisst sich die Katze in den Schwanz. Denn der Personalmangel verschärft sich noch mehr, je weniger gut die Abteilungen mit Personal ausgestattet sind. Gibt es hingegen mehr Personal, bleibt mehr Zeit für die Pflege, die Arbeit wird sinnvoller und befriedigender, wenn man sie richtig ausführen kann, und es bleiben mehr Fachleute an ihrer Arbeitsstelle und in ihrem Beruf.
Gibt es andere Möglichkeiten, einen angemessenen Personalbestand zu erreichen?
Primär muss alles versucht werden, zusätzliches qualifiziertes Personal zu gewinnen. Sonst bleiben nur Bettenschliessungen, Stationsschliessungen und längere Wartezeiten für die Patienten mit planbaren Eingriffen. Das sehen wir bereits heute in vielen Institutionen.
Wie weit sind die Verhandlungen über die Umsetzung der Pflege-Initiative?
Ich rechne damit, dass das Parlament noch dieses Jahr das erste Massnahmen-Paket bewilligt. Das entspricht dem ehemaligen indirekten Gegenvorschlag, den das Parlament bereits einmal bewilligt hat und enthält die Ausbildungs-Milliarde und die Erlaubnis für Pflegefachpersonen, bestimmte Leistungen direkt zulasten der Sozialversicherungen abrechnen zu können.
Und die Vorgaben für die Personaldotation?
Die sind im zweiten Paket vorgesehen. Dieses kommt voraussichtlich nächstes Jahr in die Vernehmlassung.
Erste Hürde der Pflege-Initiative ist geschafft
Letzte Woche hat die Gesundheitskommission des Nationalrats dem ersten Paket zur Umsetzung der Pflege-Initiative zu. Es entspricht dem ehemaligen indirekten Gegenvorschlag und enthält einerseits eine Ausbildungsoffensive für die nächsten acht Jahre. Zweitens sollen Pflegefachpersonen bestimmte Leistungen direkt, ohne ärztliche Anordnung, zulasten der Sozialversicherungen abrechnen können. Der SBK erwartet, dass der Nationalrat seiner Kommission folgt. «Die Pflegenden in der Praxis müssen merken, dass es vorwärts geht. Viele verlieren die Geduld, weil die Kantone ihre Hausaufgaben nicht machen. Es braucht flächendeckende Sofortmassnahmen, damit sie nicht aufgeben», sagt Yvonne Ribi, die Geschäftsführerin des SBK.