Die fünf heiklen Punkte beim Krankenkassen-Spital im Jura

Gesundheitsexperten räumen dem neuen Visana-Experiment eine Chance ein – allerdings nur im ländlichen Jura und nicht in einer Stadt.

, 2. November 2022 um 08:12
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Das Spital Moutier gehört neu zu einem Drittel der Krankenkasse Visana. | zvg
Es ist ein gewagter Schritt, den die Krankenkasse Visana letzte Woche publik machte: Sie kauft einen Drittel des Hôpital du Jura Bernois (HJB). Mit im Boot ist die private Spitalkette Swiss Medical Network (SMN) und der Kanton Bern. Zu dritt wollen sie einen Umsturz in der Finanzierung von Gesundheitskosten in Gang bringen.

Pro-Kopf-Pauschale für alle Gesundheitskosten

Ab 2024 will die Visana im Berner Jura keine einzelnen Behandlungen mehr bezahlen. Sondern nur noch einen jährlichen Pauschalbetrag pro Versicherten. Damit sollen die Spitäler in Moutier und St. Imier sowie die Ärzte, die beim Modell mitmachen, einen Anreiz erhalten, ihre Patienten möglichst gut und nicht möglichst teuer zu behandeln.

Haben diese Pläne eine Chance?

«Dieses Modell kann im Berner Jura funktionieren. Es ist ein ländlicher Raum, wo die Bewohner eine starke Bindung zu ihren Ärzten und dem Spital haben, wie wohl auch zum Versicherer», sagt der Gesundheitsökonomen Stefan Felder von der Universität Basel zu diesem Vorhaben. «Bessere Abläufe in der medizinischen Versorgung, möglicherweise auch mit dem Einbezug von Apotheken, weniger Überweisungen ins Spital – das bringt ein grosses Effizienzpotential mit sich», urteilt Felder.

Die fünf Schwachpunkte

Auch der Berner Gesundheitsökonom Heinz Locher, sagt: «Ein Versuch lohnt sich. Im Jura könnte er gelingen.» Allerdings gibt es noch Hürden auf dem Weg zur neuen Gesundheitsversorgung im Jura. Medinside benennt die fünf Schwachpunkte:

1. In der Schweiz gibt es keine Krankenkasse mit eigenem Spital

Heinz Locher gibt zu bedenken, dass es in der Schweiz bisher nicht üblich ist, dass Krankenversicherungen eigene Spitäler haben. Einzig die Unfallversicherung Suva betreibt in Bellikon und in Sion zwei eigene Rehakliniken. Locher sagt trotzdem: «Wenn die Qualität des Spitals stimmt, dann finde ich es gut, wenn eine Versicherung den Versuch wagt.»

2. Visana-Versicherte könnten im Spital anders behandelt werden

Als Mitbesitzerin könnte die Visana versuchen, ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Denkbar wäre, dass den Visana-Versicherten gewisse teure, aber nötige Behandlungen vorenthalten würden. Aber auch das Umgekehrte wäre möglich: Visana-Versicherte würden von teuren und unnötigen Behandlungen verschont, während die übrigen Patienten mehr unnötige Behandlungen über sich ergehen lassen müssten – weil nicht die Visana dafür zahlen muss. Heinz Locher schätzt diese Szenarien als eher unwahrscheinlich sein. Die Visana dominiere mit ihrem Drittel-Anteil nicht. Die Führung habe deshalb das Spital und nicht die Versicherung. Eine Einflussnahme ist aber trotzdem möglich.

3. Der Bund muss ein neues Versicherungsmodell bewilligen

Ab 2024 wollen die drei Partner im Berner Jura ein alternatives Grundversicherungsprodukt auf den Markt bringen. Es sollen keine einzelnen Behandlungen mehr bezahlt werden, sondern pro Versicherten wird ein jährlicher Pauschalbetrag vereinbart. Wie das neue System konkret umgesetzt wird und ob es vom Bundesrat bewilligt wird, ist noch unklar.

4. Machen die Ärzte beim neuen Modell mit?

Soll das Modell funktionieren müssen neben den beiden Spitälern auch die niedergelassenen Ärzte mitmachen und mit SMN zusammenarbeiten. Ob und wie diese Zusammenarbeit zustande kommt, ist allerdings noch offen, gibt Stefan Felder zu bedenken.

5. Wollen die Versicherten das neue Versicherungsmodell?

Das neue Versicherungsmodell der Visana im Spital Berner Jura wird die Arztwahlfreiheit einschränken. «Funktionieren wird es nur, wenn es die Versicherten annehmen und die Ärzteschaft sich einbinden lässt», sagt Stefan Felder.

Das sind die drei neuen Spitalbesitzer

Ursprünglich gehörte das Hôpital du Jura Bernois mit den beiden Spitälern in Moutier und St. Imier dem Kanton Bern.
  • Vor knapp drei Jahren hat der Kanton 35 Prozent seiner Aktien der Schweizer Privatspitalkette Swiss Medical Network (SMN) verkauft.
  • Letztes Jahr übernahm SMN weitere 17 Prozent vom Kanton und wurde mit 52 Prozent Mehrheitsbesitzerin.
  • Neu hält SMN nur noch 35,1 Prozent. Der Kanton Bern und die Krankenkasse Visana besitzen je 32,4 Prozent.
Das Spital Berner Jura heisst neu Réseau de l'Arc - Netzwerk des Jurabogens. In dieser Region leben rund 50'000 Menschen. Der Anteil der Visana-Versicherten dürfte bei rund zehn Prozent (Schweizer Durchschnitt) liegen. Im Réseau de l'Arc werden aber auch Patienten von anderen Krankenkassen behandelt.

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