Covid: «Das passiert in den Atemwegen nach einer Infektion»

Berner Forschende zeigen in einer neuen Studie auf, wie sich Sars-CoV-2 in den Atemwegen vermehrt und wie die dortige angeborene Immunantwort reagiert.

, 1. April 2021 um 06:21
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Seit Sars-CoV-2 erstmals Ende 2019 aufgetaucht ist, hat das Virus weltweit zu über 125 Millionen Ansteckungen und 2,7 Millionen Todesfällen geführt. Sars-CoV-2 ist ein enger Verwandter von Sars-CoV, einem anderen Coronavirus, das während eines Ausbruchs in den Jahren 2002-2003 zu 8’400 Ansteckungen und 800 Todesfällen führte.
Was genau passiert in unseren Atemwegen nach einer Infektion mit Sars-CoV-2? Dieser Frage sind Berner Forschende des Instituts für Infektionskrankheiten (IFIK) der Universität Bern und des eidgenössischen Instituts für Virologie und Immunologie (IVI) nachgegangen. In ihrer neuen Studie zeigen sie auf, wie sich das Virus in den Atemwegen vermehrt und wie die dortige angeborene Immunantwort reagiert. «Diese Erkenntnisse können dazu dienen, antivirale Medikamente und präventive Massnahmen zu entwickeln», heisst es im Communiqué.

Ähnlichkeiten und Unterschiede

«Sars-CoV-2 und Sars-CoV sind sich genetisch sehr ähnlich und benutzen denselben Rezeptor, um menschliche Zellen zu infizieren. Doch trotz dieser Ähnlichkeiten gibt es auch wichtige Unterschiede zwischen den beiden Viren», sagt Ronald Dijkman vom Institut für Infektionskrankheiten (IFIK) der Universität Bern. So zeichne sich eine Infektion mit Sars-CoV durch eine schwere Erkrankung und Entzündung der unteren Atemwege aus; infizierte Personen seien erst nach dem Auftreten von Symptomen ansteckend, was die Identifizierung und Unterbrechung von Infektionsketten erleichtere.
Im Gegensatz dazu vermehrt sich Sars-CoV-2 bevorzugt in den oberen Atemwegen (Nasenhöhle, Rachen, Luftröhre) und kann leicht von einer Person zur anderen übertragen werden, bevor Krankheitssymptome auftreten. Zudem ist der Verlauf einer Infektion individuell sehr unterschiedlich und kann sich als asymptomatische, leichte oder schwere Erkrankung bis hin zu Multiorganversagen manifestieren. 
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Eine 3D-Darstellung menschlicher Atemwegs-Zellkulturen, welche die Komplexität der Zellstruktur in den Atemwegen nachahmen, einschliesslich Flimmerzellen (rot) und verschiedener Zellschichten (Zellkern, blau), die für Untersuchungen von Infektionen mit humanen Atemwegsviren (grün) verwendet werden können.

Temperatur als Schlüsselfaktor

Um besser zu verstehen, warum zwei so ähnliche Viren zu so unterschiedlichen Krankheitsbildern führen können, haben die Forscher spezielle Kulturen von menschlichen Atemwegszellen verwendet. Diese stammen aus menschlichen Proben und ahmen die Komplexität der Zellen im Atemtrakt nach: sie wachsen in speziellen Behältern, in denen sie von der Unterseite ernährt und auf der Oberseite der Luft ausgesetzt werden – genau wie die Zellen in der menschlichen Luftröhre.
Wie die echte Luftröhre produzieren die Zellkulturen auch Schleim und haben Flimmerhärchen, die sich sehr schnell bewegen. «Weil die Struktur der Zellen in diesem Modell derjenigen im menschlichen Gewebe so ähnlich ist, ist dieses Modell ein relevantes System, um im Labor Atemwegsviren zu untersuchen», erklärt Dijkman.
Dieses bereits bestehende Modell haben die Forschenden nun erstmals eingesetzt, um die Auswirkungen der Atemwegstemperaturen auf die Vermehrung von Sars-CoV und Sars-CoV-2 zu untersuchen. Sie fanden heraus, dass die Temperatur eine wichtige Rolle spielt, da SARS-CoV-2 sich bevorzugt bei Temperaturen vermehrt, wie sie typischerweise in den oberen Atemwegen herrschen (33 Grad Celsius).
Bei diesen kühleren Inkubationstemperaturen konnte sich das Virus schneller und in höherem Masse vermehren als bei Infektionen, die bei 37 Grad Celsius ausgelöst wurden, um die Umgebung in den unteren Atemwegen nachzubilden. Im Gegensatz zu Sars-CoV-2 vermehrte sich SARS-CoV nicht schneller durch kühlere Inkubationstemperaturen. 

Unterschiedliche Immunantworten

Das Team analysierte auch, welche Gene nach einer Infektion mit SARS-CoV und SARS-CoV-2 ein- und ausgeschaltet werden, um zu verstehen, wie Zellen des menschlichen Atemtrakts auf eine Infektion reagieren und welche angeborenen Immunprogramme aktiviert werden. Das angeborene Immunsystem ist die «erste Verteidigungslinie» unseres Körpers gegen eindringende Krankheitserreger und ist nicht nur entscheidend, um diese zu bekämpfen, sondern auch um andere Teile des Immunsystems zu «trainieren», damit sie angemessen reagieren können, erklären die Forscher.
Bei der Nachahmung der Bedingungen in den oberen Atemwegen (33°C) stellte das Team fest, dass die Infektion mit Sars-CoV-2 die angeborene Immunantwort der Epithelzellen – der Zellschicht auf der Innenseite der Luftröhre – nicht so stark stimulierte wie bei der Nachahmung der Bedingungen in den unteren Atemwegen (37°C). «Da die Stärke der Immunantwort den Grad der Virusvermehrung direkt beeinflussen kann, könnte dies erklären, warum sich SARS-CoV-2 bei niedrigeren Temperaturen effizienter ausbreitet», sagt Dijkman.
Bei 37 Grad Celsius, wie sie in den unteren Atemwegen herrschen, wurde die angeborene Immunantwort der Epithelzellen stärker stimuliert und das Virus effizienter bekämpft. Dort kann es jedoch zu einer überschiessenden angeborenen Immunreaktion kommen. Diese kann sich wiederum nachteilig auf eine infizierte Person auswirken, da hohe Entzündungswerte Gewebeschäden auslösen und das Fortschreiten der Krankheit beschleunigen können. Dieses Phänomen ist bei schweren Covid-19-Fällen zu beobachten.
«Die detaillierte Analyse der Vermehrung von Sars-CoV-2 und der temperaturbedingten Unterschiede in der angeborenen Immunabwehr könnten erklären, warum sich Sars-CoV-2 so gut in den oberen Atemwegen ausbreitet und warum es leichter übertragen wird als SARS-CoV», erklärt Dijkman. 

Infektionen allgemein besser bekämpfen

«Unser System bietet Einblicke in den molekularen Kampf, der während einer Infektion zwischen Virus und Wirt stattfindet, und unterstreicht die Bedeutung subtiler Veränderungen in der Mikroumgebung zwischen Virus und Wirt, welche die Virusvermehrung beeinflussen können», sagt Dijkman.
Das Verständnis davon, welche Schlüsselfaktoren an diesem Prozess beteiligt sind und ob sie den Wirt oder das Virus begünstigen, eröffnet neue Möglichkeiten für gezielte präventive Massnahmen oder die Entwicklung neuartiger pharmazeutischer Wirkstoffe zur Bekämpfung von Coronavirus-Infektionen.
Hier geht es zur Originalpublikation.
Diese Arbeit wurde unterstützt von der Europäischen Kommission (Marie Sklodowska-Curie Innovative Training Network «HONOURS»), dem Schweizerischen Nationalfonds SNF (Sonderausschreibung Coronaviren) und dem deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung, Projekt RAPID.
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