«Ich glaube, die Lage ist nicht so dramatisch, wie sie geschildert wird.» Das sagt Pietro Vernazza in der Sendung des Ostschweizer Fernsehen TVO «Zur Sache».
Er sehe, dass die Schweizer Intensivstationen derzeit unter Belastung stünden, so der langjährige Chefarzt der Infektiologie am Kantonsspital St. Gallen, der Ende August in Pension ging. Er sehe aber auch, dass viele Bürger verstanden hätten, dass man sich impfen lassen sollte.
Vernazza: «Ich bin gegen diese Angst»
Jetzt sei es vor allem wichtig, dass die über 65-Jährigen die Auffrischungsimpfung erhielten – junge, gesunde Menschen benötigten keine dritte Impfdosis, findet Vernazza. «Bereits 12-Jährige kommen für eine dritte Impfung in die Impfzentren, weil sie Angst haben», hält der Infektiologe fest und ergänzt: «Ich bin gegen diese Angst, die man aufbaut.»
Yvonne Gilli, Präsidentin der Verbindung Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH), pflichtet dem bei. Kinder und junge, gesunde Personen müssten vor einer Covid-19-Erkrankung nicht Angst haben, sie müssten aber ihren Beitrag zur Bekämpfung der Corona-Pandemie leisten. Die FMH-Präsidentin fordert im Talk «Zur Sache» auch alle Personen dazu auf, ihre privaten Kontakte zu reduzieren und die Hygienemassnahmen einzuhalten.
Gilli befürwortet 3G-Regelung – von 2G hält sie nicht viel
Gilli spricht sich für weitere (national koordinierte) Massnahmen aus. Die Einführung einer 2G-Regelung lehnt sie klar ab: «2G nützt nichts. Personen, die frisch getestet sind und keine Symptome zeigen, schützen andere besser als geimpfte Personen, die Symptome zeigen.» Die 3G-Regelung sei gut, aber mit der 2G-Regelung wähne man sich in falscher Sicherheit.
Die FMH-Präsidentin appelliert auch an die Geimpften. Auch wenn eine geimpfte Person nur leichte Erkältungssymptome hätte, wäre es wichtig, dass sie sich testen lasse und bei einem positiven Testergebnis die Isolation konsequent umsetze.
Vernazza findet, dass mehr Pragmatismus gefragt sei. Es sei doch «absurd», dass eine geimpfte Person, die zwar positiv auf Sars-CoV-2 getestet wurde, die aber bereits nach zwei Tagen wieder «purlimunter» sei und einen negativen Antigentest vorweisen könne, dann doch zehn Tage in Isolation müsse.
Diskussion um Triage
Auch über Triage-Entscheidungen unter Pandemiebedinungen wurde im TVO-Talk diskutiert. Triagen hätte es auch vor der Pandemie bereits gegeben; das Pflegepersonal sei geschult worden für solche Fälle, stellt Vernazza fest. «Ich finde es absurd, dass Experten und Ethiker nun sagen, wie die Triage gemacht werden muss.»
Bei Triagen seien einerseits die Überlebenschance und andererseits die spätere Lebensqualität zu beurteilen, hält Gilli fest. Bei der derzeitigen Pandemieentwicklung müssten Triage-Entscheidungen aber nicht aufgrund dieser zwei Komponenten, sondern aufgrund von Platzmangel getroffen werden. Die FMH-Präsidentin sagt: «Das Eintreten von solchen Triagen wäre unwürdig für ein Land wie die Schweiz und muss um jeden Preis verhindert werden.»