Die Spitäler mussten im Herbst und Winter Eingriffe verschieben um Kapazitäten für die Covid-Patienten zu schaffen. Für Non-Covid-Patienten kam es zu einer partiellen Unterversorgung. Die Pandemie führte uns vor Augen, dass unser System nicht unendlich belastbar ist. Das Spitalangebot richtet sich am Bedarf «normaler» Zeiten aus und muss gleichzeitig Peaks aushalten können. Das erfordert grosse Flexibilität. Die Spitäler haben diesbezüglich ihre Fähigkeiten eindrücklich unter Beweis gestellt.
Trotz partieller Unterversorgung im Pandemie-Jahr geistert das Gespenst der «Überversorgung» weiterhin durch den Blätterwald. Die Politikerinnen und Politiker wollen «dagegen ankämpfen». In Basel orten sie in der vermeintlichen Überversorgung ein grosses Sparpotenzial.
Auch in der Debatte im Zürcher Kantonsrat zum Spitalplanungs- und Finanzierungsgesetz forderten Politikerinnen und Politiker verschiedener Couleur das «Wachstum» zu beschränken. Sie sehen im Qualitätswettbewerb der Spitäler einen Anreiz für unnötige Eingriffe. Und sogar Bundesrat Berset steht «im Kampf gegen die Überversorgung». Er will mit Tarifsenkungen die stationäre Spitalbehandlung weniger attraktiv machen.
Tatsache ist: Wo es viele Leistungserbringer gibt, da sind die Gesundheitskosten durchschnittlich höher. Doch dieser Fakt wird häufig extrem verkürzt und falsch gedeutet. Als einzige Begründung wird die angebotsinduzierte Nachfrage akzeptiert. Das heisst, man wirft den Leistungserbringern vor, wegen hohem Konkurrenzdruck und zur Auslastung des eigenen Angebots, die Patientinnen und Patienten unnötigerweise zu behandeln. Vergessen geht, was im statistischen Einführungskurs immer vermittelt wird: Korrelation heisst nicht Kausalität.
Doch in der Hitze der Kostendiskussion geht dieses Grundwissen schnell vergessen. Auch eine Anfang Jahr publizierte OBSAN-Studie widerspricht. Zusatzversicherte werden nicht häufiger operiert als Allgemeinversicherte, das Fazit: Aufgrund finanzieller Anreize finden keine Operationen statt. Ärzte haben ein hohes Berufsethos und auch die Krankenversicherungen schauen genau hin, was sie bezahlen müssen.
Vielmehr könnte man die Interpretation einer hohen Leistungsdichte einhergehend mit hohen Fallzahlen auch positiv deuten. Denn wo es viele Fallzahlen gibt, da ist die Versorgung qualitativ auf höchstem Niveau. Auch hier lässt sich eine Korrelation ableiten. Im nahgelegenen Ausland findet man tiefere Fallzahlen, und ein weniger leistungsfähiges Gesundheitssystem. Die Spitäler in der Schweiz bieten für alle in der Schweiz lebenden Personen die gleiche medizinische Qualität. Das ist weltweit einmalig. Das kann man eigentlich gar nicht genug würdigen. Aber klar ist, das kostet.
Gerade mit Blick auf die sich wandelnde Demographie ist es zudem unsinnig, das Spitalangebot abbauen zu wollen. In den kommenden Jahren werden viele medizinische Leistungen von den immer älter werdenden Menschen benötigt. Ein durch politisch festgelegte Mengenbeschränkungen und Tarifsenkungen geschrumpftes Spitalsystem würde zu einer schlechteren Versorgung führen und den Personalmangel weiter verschärfen. Tragen wir dem System Sorge, welches über Jahrzehnte teuer aufgebaut wurde; es ist sehr schnell kaputtgespart.
Marco Gugolz ist seit August 2020 als Direktor der Klinik Hirslanden in Zürich tätig.