Kirschblüten-Affäre: Patienten nicht zu Schaden gekommen

Das zeigt eine neue Untersuchung des Psychiatriezentrums Münsingen. Jetzt will der VR seine Organisation und Führung optimieren. Thomas Reisch wird entlassen.

, 21. Juni 2022 um 10:16
image
  • psychiatrie
  • psychiatriezentrum münsingen
  • spital
Im Februar hat der Verwaltungsrat des Psychiatriezentrums Münsingen (PZM) vier externe Experten damit beauftragt, die Vorwürfe rund um die Anstellung von drei ehemaligen Mitarbeiterinnen aus dem Kreis der umstrittenen Kirschblüten-Gemeinschaft unabhängig abzuklären (siehe Box). 
Nun liegen die Ergebnisse der Untersuchung vor. Die Experten konnten bei den ehemaligen Mitarbeiterinnen der Kirschblüten-Gemeinschaft kein Fehlverhalten feststellen. Auch strafrechtlich relevante Verfehlungen wurden im PZM nicht festgestellt. 
Die Experten halten laut Mitteilung fest, dass keine Patientinnen und Patienten zu Schaden gekommen sind. 

Experten bestätigen Schwachstellen 

Die externe Untersuchung hat jedoch im erweiterten Kontext verschiedene organisatorische und führungsspezifische Schwachstellen aufgezeigt, insbesondere in Bezug auf die Klinik für Depression und Angst.
Als Gründe nennen die Experten einerseits die problematische Doppelfunktion des ärztlichen Direktors und Chefarztes der Klinik für Depression und Angst sowie Führungsschwächen. 
Andererseits weisen sie darauf hin, dass die Geschäftsleitung der Arbeit des ärztlichen Direktors und Chefarztes in den vergangenen Jahren zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt und diese nicht ausreichend kontrolliert hat. 
Gemäss den Experten fehlt zudem eine externe, anonyme Meldestelle für vermutetes Fehlverhalten. Und schliesslich stellten die Experten fest, dass es am PZM bisher keine klaren Regeln hinsichtlich Beziehungen unter Mitarbeitenden gebe.

Thomas Reisch wird entlassen

Der Verwaltungsrat ist zwar laut Mitteilung beruhigt, dass bezüglich der Arbeit der drei ehemaligen Mitarbeiterinnen kein Fehlverhalten und keine Beeinträchtigungen von Patienten festgestellt wurden. Trotzdem sieht er auf mehreren Ebenen Handlungsbedarf:
Aufgelöst wird das Arbeitsverhältnis mit Professor Thomas Reisch. Reisch war bis Februar 2022 sowohl ärztlicher Direktor als auch Chefarzt der Klinik für Depression und Angst. 
Der Grund: Der VR ist wegen der Untersuchung, den Erkenntnissen der letzten Monate und wegen unterschiedlicher Auffassungen zu Führungs- und Kulturfragen zum Schluss gekommen, dass die gemeinsame Basis für eine weitere Zusammenarbeit fehlt. 
Thomas Reisch ist bereits seit Februar 2022 von seinen Aufgaben am PZM befreit und wird weiterhin nicht mehr am PZM tätig sein. 
Die Leitung der Klinik für Depression und Angst – Chefarzt und vakante Stelle Leitung Pflege –, soll ausgeschrieben und neu besetzt werden. 
Bis zur neuen Stellenbesetzung werden Ingo Butzke, Chefarzt der Klinik für Psychose und Abhängigkeit, und Philipp Mattmann, Direktor Pflege und Bildung, die Klinik für Depression und Angst gemeinsam interimistisch führen. 

Kirschblüten-Mitglieder sind tabu

Eine weitere Massnahme ist, dass die ärztliche Direktion künftig nicht mehr durch eine Einzelperson mit Doppelfunktion wahrgenommen wird, sondern durch eine kollegial zusammengesetzte ärztliche Direktion. Diese soll sich neu aus allen Chefärzten des PZM zusammensetzen. 
Weiter will das PZM an seiner diskriminierungsfreien Anstellungspraxis festhalten. Seit diesem Frühjahr verzichte das PZM jedoch aufgrund der laufenden Untersuchungen auch seitens des Kantons Bern auf die Anstellung von Mitgliedern der Kirschblüten Gemeinschaft. 
Die Klinik distanziere sich nach wie vor von den von der Kirschblüten Gemeinschaft praktizierten Therapien und lehne diese mit Nachdruck ab, hält das PZM weiter fest. Diese umstrittenen, pseudowissenschaftlichen Praktiken seien am PZM tabu. Für die Behandlungen am PZM gelten für alle Mitarbeitenden verbindlich die Richtlinien der anerkannten Fachgesellschaften sowie nationaler und internationaler Organisationen.

Externe Meldestelle wird beibehalten

Das PZM hat für die Untersuchung eine unabhängige, externe Meldestelle für Mitarbeitende geschaffen und wird diese beibehalten. Damit sollen die Mitarbeitenden die Möglichkeit erhalten, anonym Probleme und mutmassliches Fehlverhalten zu melden und anzubringen. 
Den Prozess für eine klare Regelung zum Thema Beziehungen zwischen Mitarbeitenden hat das PZM im Rahmen der Schärfung der Compliance-Richtlinien in der Zwischenzeit bereits angestossen.

Untersuchung durch vier externe unabhängige Experten

Seit Februar 2022 haben vier unabhängige Experten im Auftrag des PZM-Verwaltungsrats die Kritikpunkte hinsichtlich der Beschäftigung von drei ehemaligen Mitarbeiterinnen aus der Kirschblüten-Gemeinschaft eingehend in psychiatrischer und juristischer Hinsicht untersucht:
  • Professor Erich Seifritz, ordentlicher Professor für Psychiatrie an der Universität Zürich, Direktor und Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich,
  • Professor Wolfram Kawohl, Ärztlicher Direktor Clienia Schlössli AG, Vizepräsident Schweizerische Vereinigung Psychiatrischer Chefärztinnen und Chefärzte,
  • David Rosenthal, Partner bei der Anwaltskanzlei Vischer in Zürich, spezialisiert auf iinterne Untersuchungen und Datenrecht, Lehrbeauftragter der ETH Zürich und Universität Basel, und 
  • Marc Ph. Prinz, Anwaltskanzlei Vischer, spezialisiert auf Arbeitsrecht.
Die Untersuchung umfasste unter anderem einen Aufruf an alle Mitarbeitenden, mögliche Probleme direkt an die Experten als unabhängige Stelle zu adressieren. Insgesamt führten die Experten rund 40 Interviews mit aktuellen und ehemaligen Mitarbeitenden, Führungspersonen und dem Management des PZM. Sie sichteten und werteten für ihre Analyse zudem alle relevanten Dokumente und Patientendossiers aus.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Hoch Health Ostschweiz: Die Geschäftsleitung steht

Neben Simon Wildermuth im Amt des CEO übernehmen weitere Geschäftsleitungsmitglieder Interims-Funktionen.

image

So wird KI fit für die klinische Routine

Vivantes integriert mit clinalytix KI in die täglichen Behandlungsprozesse

image

GZO Spital Wetzikon: Definitive Nachlassstundung bewilligt

Damit wird dem Spital Wetzikon die benötigte Zeit eingeräumt, um das Sanierungskonzept anzugehen.

image

Das MediData-Netz: Damit alle profitieren

Die Digitalisierung im Gesundheitssystem ist dringend und bringt Vorteile für Health Professionals und Patient:innen. Die Standardisierung des Forums Datenaustauschs ermöglicht eine sichere Vernetzung und effiziente Prozesse. Das MediData-Netz ermöglicht die schnelle Implementierung neuer Lösungen.

image

Gesundheitsfördernde Materialien gesucht?

Die Wahl passender Materialien ist bei Neu- und Umbauten eine grosse Herausforderung – auch im Gesundheitsbereich. Denn diese müssen unterschiedlichen und hohen Anforderungen gerecht werden. Nicht immer ist das jahrelang Eingesetzte die beste Wahl und neue Alternativen haben es schwer.

image

Spitäler Schaffhausen: Gesamterneuerung teurer, Kosten bei 330 Millionen Franken

Dabei soll der Kanton insgesamt 130 Millionen Franken beitragen.

Vom gleichen Autor

image

Kinderspital verschärft seinen Ton in Sachen Rad-WM

Das Kinderspital ist grundsätzlich verhandlungsbereit. Gibt es keine Änderungen will der Stiftungsratspräsident den Rekurs weiterziehen. Damit droht der Rad-WM das Aus.

image

Das WEF rechnet mit Umwälzungen in einem Viertel aller Jobs

Innerhalb von fünf Jahren sollen 69 Millionen neue Jobs in den Bereichen Gesundheit, Medien oder Bildung entstehen – aber 83 Millionen sollen verschwinden.

image

Das Kantonsspital Obwalden soll eine Tochter der Luks Gruppe werden

Das Kantonsspital Obwalden und die Luks Gruppe streben einen Spitalverbund an. Mit einer Absichtserklärung wurden die Rahmenbedingungen für eine künftige Verbundlösung geschaffen.