Der Bundesrat hat Ende März eine Science Task Force zur Bewältigung der Pandemie eingesetzt. In dieser
«Nationalen Covid-19-Taskforce» ist die Hochschullandschaft mit Forschenden vertreten: Mediziner, Virologen, Ökonomen, Epidemiologen. Auch der bekannte Infektiologe Pietro Vernazza wurde für das Expertengremium angefragt. Danach wurde er aber wieder «rauskatapultiert», wie er in der Sendung Standpunkte auf SRF sagte.
Warum genau, weiss der langjährige Chefarzt für Infektiologie und Spitalhygiene am Kantonsspital St. Gallen (KSSG) aber nicht. Vielleicht weil er kein Mainstream-Denker sei, mutmasst er. Es sei jetzt anders, wir brauchen Sie nicht mehr, lautete die Begründung.
«Ich weiss die Wahrheit nicht, aber wir haben zu wenig diskutiert»
Vernazza bedauert dies, denn er hätte gerne noch gewisse andere Fragen in die Taskforce eingebracht, sagte er. Es habe ihn beispielsweise gestört, nach dem Lockdown nicht zu überprüfen, ob wir auf dem richtigen Weg seien. Die Diskussion wurde «relativ unkontrolliert mit wenig fachlicher Evidenz» weitergeführt, erklärte er in der Sendung über das Coronavirus.
«Ich weiss die Wahrheit nicht, aber wir haben zu wenig diskutiert», so der Chefarzt weiter. Der Ostschweizer Mediziner war zum Beispiel einer der wenigen, der relativ früh
die Weiterführung der Schulschliessungen kritisierte und wissenschaftlich belegte. Der Infektiologie denkt zudem, dass es eine Immunantwort auf das neue Coronavirus gebe. Dies zeigten neue Daten.
«Die Grippetoten jedes Jahr sind uns egal»
In der Diskussion auf SRF ging es auch um den Zielkonflikt zwischen Wirtschaft und Gesundheit. Es gehe als erstes um die Bedürfnisse der Menschen und damit um die Gesundheit, sagte Mattea Meyer, SP-Nationalrätin aus dem Kanton Zürich.
Doch hier kann Pietro Vernazza nicht verstehen, warum uns denn die Grippetoten jedes Jahr «egal» seien. Seit 30 Jahren setze er sich dafür ein. Jedes Jahr sterben ihm zufolge genau so viele Menschen an Grippe wie derzeit an Covid-19.
Gegen die Grippe gebe es Massnahmen: etwa Grippeimpfungen. Man könnte etwas tun, wie Japan dies in den 60er und 70er-Jahren erfolgreich machte. «Aber wir machen nichts.» Und jetzt plötzlich zählen wir jeden Coronavirus-Toten. Natürlich sei diese Zahl höher, aber wir haben Vernazza zufolge auch eine andere Haltung dazu.
Schweden hat uns die Todesfälle voraus
Zu einer möglichen zweiten Welle sagte der Chefarzt aus St. Gallen, dass in diesem Zusammenhang eine «Nullfall-Strategie» gar nicht möglich sei. Diese Krankheit gehe nicht weg. «Wir werden die aktuellen Massnahmen aufrecht erhalten müssen, bis eine Impfung verfügbar ist.» Wahrscheinlich sei dies in zwei Jahren der Fall. Die Krankheiten kommen erst noch, sagte der Infektiologe weiter. Schweden werde uns dann voraus haben, dass die Todesfälle schon passiert seien.