Der Fall des beurlaubten Klinikdirektors Francesco Maisano dreht sich weiter: Der «Tages-Anzeiger» (Abo) schildert oberflächlich einen Fall, in dem eine Patientin eine neue Herzklappe erhalten sollte. Die Chirurgen um den beurlaubten Klinikdirektor am Unispital Zürich (USZ) ersetzten der Zeitung zufolge nicht nur die Mitra-, sondern auch die Aortenklappe, obwohl die leicht undicht war. Während der OP erlitt die Patientin einen schweren Herzinfarkt, weil ein Herzkranzgefäss zusammengedrückt wurde, worauf die neu eingenähte Aortenklappenprothese durch ein kleineres Implantat ersetzt werden musste. Und weiter: Anschliessend verlegte man die Frau mit offenem Brustkorb auf die Intensivstation. Nach einem weiteren Herzinfarkt verstarb sie, ohne nochmals das Bewusstsein erlangt zu haben.
Dieser Fall trug dazu bei, dass die Patientenstelle Zürich eine Strafanzeige gegen Francesco Maisano eingereicht hat, wie der «Tages-Anzeiger» berichtet. In der Schweiz nehmen rechtliche Auseinandersetzungen wegen behaupteter oder tatsächlicher ärztlicher Fehlbehandlung in jüngster Zeit stark zu. Erika Ziltener, die langjährige Leiterin der Patientenstelle, glaubt, dass im oben geschilderten Fall ein Behandlungsfehler vorliegt: «Es war medizinisch nicht klar, dass die Aortenklappe ersetzt werden musste. Weder der Patient noch die Angehörigen wurden vor dem Eingriff richtig aufgeklärt», sagt sie der Zeitung.
Wie wehrt sich ein Chirurg gegen die Vorwürfe?
Was sagt Francesco Maisano zum Fall? Laut Zeitungsbericht hat er sich in einer «ausführlichen schriftlichen Stellungnahme gewehrt gegen die Darstellung.» Er habe dem Tagi nicht erlaubt, diese Replik in einer «zusammengefassten Form» zu publizieren, schreibt die Zeitung weiter. Seine Darstellung des Falls ist für die Leserinnen und Leser aber wichtig für die Meinungsbildung in dieser Sache.
Was stand in dieser Stellungnahme genau? Wie wehrt sich ein Chirurg, der bereits mehrere Tausend Operationen durchführte, gegen öffentliche Vorwürfe, in denen es um komplexe medizinische Sachverhalte geht, die ohne Hintergrundwissen kaum zu beurteilen sind? Auf Anfrage von Medinside liess der Herzchirurg uns über seinen Sprecher seine Stellungnahme zukommen, die das Blatt nicht publizieren wollte. Diese ist zwar ausführlich, aber schonungslos offen. Urteilen Sie selbst.
«Wenn dies nicht das ist, was ein Chirurg tun sollte, dann sind wir in Schwierigkeiten»
«Anders als offenbar der Tages Anzeiger und eine Organisation habe ich keinen Zugang zu Patientenakten. Dennoch erinnere ich mich an den skizzierten Fall. Solche Fälle kann man nicht vergessen, sonst ist man kein guter Chirurg. Im Leben eines Herzchirurgen gibt es viele ähnliche Fälle. Sie gehen einem unter die Haut. Wir sind mit Entscheidungen konfrontiert, die schnell getroffen werden müssen, und zwar im Interesse der Patientinnen und Patienten und unserer Glaubwürdigkeit.
In diesem Fall stellte der Anästhesist meiner Erinnerung nach kurz vor Beginn des Eingriffs intraoperativ fest, dass die Aorteninsuffizienz schwerer war, als von den Kollegen der Kantonsspitals St. Gallen berichtet. Darüber hinaus kann, nach meiner Erfahrung, bei Patienten mit kombinierter Mitral- und Aorteninsuffizienz der Grad der Aorteninsuffizienz unterschätzt werden. Und das könnte fatale Folgen haben. Deshalb entschied ich mich, die Aortenklappe durch eine möglichst grosse Prothese zu ersetzen, um eine Fehlanpassung der Patientenprothesen zu vermeiden. Ich befürchtete, dass die Behandlung nur der Mitralklappe nicht ausreichen würde, um die Patientin von den Symptomen zu befreien.
Im Nachhinein könnte man sagen, dass dies eine falsche Entscheidung gewesen sei. Der Tages Anzeiger, ein kooperierender Whistleblower und eine dritte Partei, die behauptet, die Patientenrechte zu schützen, werfen mir hier eine Fehlentscheidung vor. Was hätte ich denn tun sollen in einem solchem Moment, in dem man innert Sekunden entscheiden muss? Ich wollte der Patientin helfen, ihr das Bestmögliche bieten. Wenn ich die Aortenklappe nicht ersetzt hätte und die Patientin weiterhin hochgradig symptomatisch geblieben wäre, dann könnte man mir ebenfalls vorwerfen, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben. Wer die Entscheidungen fällt, trägt eine grosse Verantwortung. Ich versuche nicht, mich ihr zu entziehen. Ich war schockiert über die Reihe der folgenden Komplikationen meiner Entscheidung für die unglückliche Patientin. Und ich erklärte dies der Familie und dem überweisenden Kardiologen des Zuweisers ausführlich.
Ja, vielleicht habe ich einen Entscheidungsfehler gemacht, aber wenn es so sein sollte, dann nur, um zu versuchen, dieser Patientin die beste Behandlung zukommen zu lassen. Wenn dies nicht das ist, was ein Chirurg tun sollte, dann sind wir in Schwierigkeiten. An dem Tag, an dem ich operiert werden muss, hoffe ich, dass ich eine Chirurgin oder einen Chirurgen finde, der den Mut hat, eine schnelle Entscheidung zu treffen. Keine Entscheidung zu treffen, ist mit Bestimmtheit eine falsche Entscheidung.»