Santésuisse-Direktorin
Verena Nold warnt in ihrem Beitrag vom 8. April, dass die steigenden Kosten unser Gesundheitswesen gefährden, und fordert von der Politik Sparmassnahmen, anstatt ihre Mitglieder zu ermuntern, zusammen mit innovativen medizinischen Leistungserbringern, den Spielraum in den alternativen Versicherungsmodellen besser zu nutzen, damit sich Effizienz und Qualität statt bloss Mengen lohnen. Am 22. April erklärt Economiesuisse- Gesundheitsökonom
Fridolin Marty, dass die durchschnittliche Prämienbelastung pro Haushalt in den letzten 20 Jahren von 4.5 auf 6.7 Prozent gestiegen ist und die Gesundheitsausgaben in absoluten Zahlen erst ab 2158 stärker wachsen als das BIP, wenn beide weiter wachsen wie bisher. Gewerkschaftsbund-Zentralsekretär
Reto Wyss reagiert am 27. April auf Fridolin Marty, kritisiert Kopfprämien sowie Kostenbeteiligungen als unsozial und meint, dass gemäss einer Sotomo-Umfrage jede fünfte Person aus finanziellen Gründen auf medizinische Leistungen verzichtet.
«Verena Nold sollte nicht immer nach noch mehr Staat rufen, sondern ihre Mitglieder ermuntern, den Spielraum bei den alternativen Versicherungsmodellen im Interesse der Versicherten besser zu nutzen.»
Verena Nold sollte nicht immer nach noch mehr Staat rufen, sondern ihre Mitglieder ermuntern, den Spielraum bei den alternativen Versicherungsmodellen im Interesse der Versicherten besser zu nutzen. Nold und Wyss irren sich mit ihren Forderungen noch mehr falsche Regulierung. Das Instrument der individuellen Prämienverbilligungen (IPV) funktioniert nur in den Kantonen schlecht, die ihren Anteil nicht wie der Bund den steigenden Prämien anpassen. Das Prämienmonitoring des BAG betrachtet nur die hohe Prämienbelastung der vulnerablen Personengruppen. Es ist besser, wenn alle Kantone und nicht bloss einige dieser Personen spezifischer mit IPV zu unterstützen als mit der Giesskanne der 10-Prozent-Initiative der SP beziehungsweise des indirekten Gegenvorschlags. Nold und Wyss ignorieren auch, dass Deutschland, Frankreich, Österreich und Grossbritannien trotz Sparmassnahmen wegen falscher Regulierung die Schweiz in Sachen Gesundheitsausgaben in Prozent des BIP überholt haben. Sie ignorieren den guten Zugang zu medizinischen Leistungen, die kurzen Wartezeiten und den umfangreichen Leistungskatalog in der Schweiz. Sogar die zahnmedizinische Versorgung ist in der Schweiz gut, obwohl sie in der Regel nicht kassenpflichtig ist. Die schlechte Regulierung der letzten 10 Jahre macht einen Teil dieser Vorteile zunichte. Ausnahmen sind die Umsetzung der Spitalfinanzierung, der verbesserte Risikoausgleich und die Psychotherapie auf ärztliche Anordnung.
«Die jüngsten Beschlüsse der nationalrätlichen Gesundheitskommission sind gut für uns alle und erlauben Bundesrat Berset einen versöhnlichen Rücktritt nach 12 Jahren.»
Beim Vergleich der Löhne mit den Krankenkassenprämien ist die prozentuale Betrachtung von Nold und Wyss irreführend. Die
Studie CLER hat gezeigt, wie sich das Medianeinkommen (50 Prozent sind reicher, 50 Prozent sind ärmer) entwickelt hat. 2007 bis 2019 ist dieses Medianeinkommen um 9 Prozent gestiegen, die
Prämien aber um 44 Prozent. Löhne und Prämien werden aber in Franken und nicht als Prozentwert von irgendetwas bezahlt. 2007 hatten wir pro Jahr nach Abzug der Krankenkassenprämien 46'488 Franken zur Verfügung, 2019 waren es 49'828 Franken, also 3'340 Franken mehr. Der Einkommensanstieg betrug nämlich 4'500 Franken und der Prämienanstieg 1'160 Franken mehr. Das bedeutet, dass mehr als 50 Prozent der Personen trotz hohen Prämien stetig mehr Geld zur freien Verfügung haben, weil das BIP in Franken stärker wächst als die Krankenkassenprämien steigen.
Die jüngsten Beschlüsse der nationalrätlichen Gesundheitskommission sind gut für uns alle und erlauben Bundesrat Berset einen versöhnlichen Rücktritt nach 12 Jahren. Ein Lichtblick sind die Beschlüsse der nationalrätlichen Gesundheitskommission vom 26. bis 28 April in den Bereichen einheitliche Finanzierung ambulant und stationär (EFAS), koordinierte medizinische Versorgung und Medikamentenpreise. Mittlerweile hat eine Mehrheit der Kommission begriffen, dass es bessere Reformprojekte gibt als die bundesrätlichen Sparpakete.
Felix Schneuwly ist Gesundheitsexperte beim Internet-Vergleichsdienst Comparis.