Zwei Prämienschocks in Folge. 2022/23 waren es plus 6,6 Prozent, 2023/24 sind es 8,7 Prozent. Und das bei einer mittleren Kostensteigerung von um die 2,5 Prozent pro Jahr und versicherte Person in den letzten Jahren.
Zu Beginn des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren waren es über 4,5 Prozent pro Jahr und Person. Was ist schiefgelaufen, dass uns Alain Berset zum Abschied seiner Karriere als Gesundheitsminister angesichts des abnehmenden Kostenwachstums zwei Prämienschocks aufbürdet?
«Böse Zungen behaupten, Berset wollte mit den Prämienschocks und der damit verbundenen Destabilisierung des Systems seinen Genossen den Weg zur Einheitskasse ebnen.»
Ganz einfach: Er hätte die Fehler von Ruth Dreifuss und Pascal Couchepin nicht wiederholen dürfen, wie die Abbildung zeigt. Böse Zungen behaupten, dass er mit den Prämienschocks und der damit verbundenen Destabilisierung des Systems seinen Genossen den Weg zur Einheitskasse ebnen wolle.
Abbildung: Prämienschock nach dem jeweils politisch erzwungenen Reservenabbau (Quelle: BAG, Comparis, 2023)
Ruth Dreifuss und Pascal Couchepin wollten den Versicherten auch moderate Prämienerhöhungen verkünden. Weil das die steigenden Kosten nicht zuliessen, zwangen sie die Krankenversicherer kurzerhand zum Reservenabbau. Jedem erzwungenen Reservenabbau folgt mindestens ein Prämienschock, sobald die Prämien nicht mehr mit Reserven künstlich tief gehalten werden.
Zusätzlich besteht ein Nachholbedarf, denn die Kassen müssen mit den Prämien wieder auf das aktuelle Kostenniveau kommen. Dazu kommt, dass die Kassen mit weniger Reserven an den Finanzmärkten weniger Geld verdienen. Auch dieses Geld fehlt nun, um Prämien künstlich tief zu halten.
Kommt dann noch eine Kostensteigerung der versicherten medizinischen Leistungen hinzu, weil viele Leute seit Corona aus verschiedenen Gründen mehr Medizin konsumieren, fehlen den Krankenversicherern genau diese Reserven und Finanzerträge, die sie brauchen würden, damit sie diese Kostensteigerung nicht 1:1 als Prämienschock auf die Versicherten abwälzen zu müssen.
«Warum es vor einer Medienkonferenz einen Point de Presse gibt, ist mir schleierhaft.»
Wenn die Prämien nur moderat steigen oder sogar sinken wie 2021/22, wechseln wenig Versicherte die Kasse. Prämienschocks hingegen führen zu einer hohen Wechselquote.
Bundespräsident Berset hat am Point de Presse – warum es vor einer Medienkonferenz einen Point de Presse gibt, ist mir schleierhaft – und an der Medienkonferenz vom 26. September erklärt, die Versicherten würden mit einer hohen Franchise und mit einem Kassenwechsel Prämien sparen, was zu weniger Prämieneinnahmen führe: «Der Anstieg der mittleren Prämie 2023, der Ende September 2022 mit 6,6 Prozentangegeben wurde, betrug gemäss der aktuellen Hochrechnung nur 5,4 Prozent, also 1,2 Prozentpunkte weniger. Die effektive Prämienerhöhung 2023 fiel also tiefer als kommuniziert aus.»
«Wenn das tatsächliche Prämienvolumen immer tiefer ist als das von allen Krankenversicherern prognostizierte und vom BAG genehmigte Prämienvolumen, sind die Prognosen insgesamt falsch.»
Wenn das so ist, wie Berset behauptet, macht das Bundesamt für Gesundheit (BAG) bei der Prämiengenehmigung einen fundamentalen Fehler, denn für die Prämienprognose eines Versicherers sind folgende Aspekte wichtig:
- die prognostizierten Kosten der versicherten medizinischen Leistungen;
- die prognostizierte Kostenbeteiligung der Versicherten (Franchisen und Selbstbehalte);
- die prognostizierten Kapitalerträge aus Reserven, Rückstellungen und Cashmanagement;
- die prognostizierte Wechselquote und Risikostruktur der Kundschaft.
Wenn also das tatsächliche Prämienvolumen immer tiefer ist als das von allen Krankenversicherern prognostizierte und vom BAG genehmigte Prämienvolumen, sind die Prognosen insgesamt falsch.
«Dass die zuständigen BAG-Fachleute die Prämien der gesamten Branche genehmigen, wenn sie sehen, dass die Versicherer mit ihren Prämieneinnahmen insgesamt falsch liegen, geht gar nicht.»
Dass ein einzelner Versicherer falsch liegt, wenn er glaubt, mit seinen Prämien fürs kommende Jahr zu wachsen oder zu schrumpfen, ist gut möglich. Dass aber die zuständigen BAG-Fachleute die Prämien der gesamten Branche genehmigen, wenn sie sehen, dass die Versicherer mit ihren Prämieneinnahmen insgesamt falsch liegen oder einzelne wie die KPT im letzten Herbst mit ihren tiefen Prämien das Kundenwachstum viel zu tief einschätzen, geht gar nicht.
Auf derartige Prämiengenehmigungsverfahren sollten wir verzichten, denn das Risiko für falsche Prognosen tragen ja ohnehin die Versicherer. Und das BAG kann einen Krankenversicherer jederzeit zu einer unterjährigen Prämienerhöhung zwingen, wenn wegen Prognosefehlern Insolvenz droht. Dann haben die Versicherten dieser Kasse die Möglichkeit, zur Konkurrenz zu wechseln.
Felix Schneuwly ist Gesundheitsexperte beim Internet-Vergleichsdienst Comparis.