Medikamente: Wo Europas Verteidigung auf der Kippe steht

Antibiotika, Anästhetika, Thrombolytika: Ohne sie bricht auch die Sicherheit eines Landes zusammen. 11 Gesundheitsminister fordern deshalb jetzt eine Arzneimittel-Offensive – mit Verteidigungsgeldern.

, 10. März 2025 um 14:01
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Ohne Antibiotika sind sie wenig wert: Europäische Kampfjets vom Typ Typhoon.
Europa muss schleunigst aufwachen. Europa muss sich von den Amerikanern lösen. Europa muss sich neu verteidigen. Europa benötigt Milliarden für Waffen: Darum dreht sich die grosse politische Debatte seit Wochen. Das Thema bekommt nun eine weitere, spezielle Drehung: Elf europäische Gesundheitsminister veröffentlichten an diesem Sonntag einen gemeinsamen Appell für eine Wiederbewaffnung des Kontinents – mit Medikamentenherstellern.
Bereits der Titel spricht Klartext: «Europas gefährliche Medizin-Abhängigkeit ist die Achillesferse seiner Verteidigungsstrategie». Die Abhängigkeit des Kontinents von importierten Medikamenten sei zu gross – und sie stelle eine erhebliche Schwachstelle in der Verteidigungsstrategie dar, heisst es dann im Aufruf. Unterzeichnet wurde der Text unter anderem von den Gesundheitsministern Karl Lauterbach (Deutschland), Mónica García Gómez (Spanien) und Frank Vandenbroucke (Vizepremier von Belgien).
Die Minister schildern das Risiko am Beispiel der Antibiotika: «Stellen Sie sich beispielsweise vor, dass die Lieferkette bei Antibiotika in einem eskalierenden Konflikt unterbrochen wird. Dieses Szenario ist nicht weit hergeholt. 80 bis 90 Prozent der Antibiotika dieser Welt werden in Asien hergestellt – vor allem in China. Ohne diese essentiellen Arzneimittel werden Routineeingriffe zu Hochrisiko-Operationen, und Infektionen, die sonst einfach zu behandeln sind, können tödlich werden.»
Es sei leicht für ausländische Parteien, diese Abhängigkeit auszunützen, um Europas Verteidigungs-Fähigkeit zu sabotieren. Denn: «Ohne Antibiotika würden unsere Gesundheitssysteme kurzerhand zusammenbrechen.»
Die 11 Minister prangern an, dass der Kontinent, der einst führend war in der Medikamentenherstellung, nun bei seiner pharmazeutischen Versorgung zu 60 bis 80 Prozent von Asien abhängt. Der Preisdruck einerseits, höhere Arbeitskosten und Umwelt-Anforderungen andererseits hätten zu solch einer gefährlichen Verlagerung geführt.

Pharma plus Panzer

Zwar sei die EU tätig geworden: Mit dem Critical Medicines Act vom Mai 2023 wurde versucht, die Lieferketten besser abzusichern. Doch die geopolitische Situation habe sich schon wieder verändert.
Und nun sei es an der Zeit, den Critical Medicines Act in einen umfassenderen strategischen Rahmen einzubetten; als Vorbild nennen die Minister den Defense Production Act der USA, welcher Pharma-Lieferketten als Problem der nationalen Sicherheit behandelt.
Auch in Europa müssten diverse Arzneimittel entsprechend gewichtet werden, heisst es im offenen Brief. Antibiotika, Anästhetika und Thrombolytika seien nicht nur fürs zivile Leben entscheidend, sondern auch im Krieg und bei Katastrophen.
Daher sei es nun Aufgabe der EU-Kommission, rasch Schwachstellen in den Lieferketten solch strategisch wichtiger Medikamente zu erfassen. Wo nötig, «muss Europa entschlossen handeln und möglichst eine heimische Produktion aufbauen.»
Die europäischen Staaten, so das Fazit, könnten es sich nicht mehr leisten, die medizinische Sicherheit zweitrangig zu behandeln. Der nun gestartete Critical Medicines Act müsse zu einem vollen strategischen Programm erweitert werden – finanziert auch aus Mitteln der Verteidigungshaushalte.
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