«Wir haben nicht zu wenig Hausärzte. Wir haben zu viele Hausärzte, die das Falsche machen»: Das sagt Daniel Flach, Allgemeinmediziner und Geschäftsführer der Berner Praxisgruppe Südland. Südland war 2019 in Bern die erste Praxis, die mit so genannten Nurse Practitioners (NP) arbeitete.
Viele Dinge, die NP genauso gut machen
Warum? «Als Hausarzt bin ich Diagnostiker, war an der Universität, habe gelernt, wie man Therapien macht. Die ganzen Betreuungsarbeiten an Patienten, Kontrollen, das sind Dinge, die nicht von einem Arzt gemacht werden müssen, sondern in mindestens so guter Qualität von jemand anderem.»
Jemand anderes: Das sind die NP, «studierte Gesundheitsfachpersonen» mit einem Masterabschluss in Pflegewissenschaften. Es sind nicht Ärztinnen oder Ärzte, aber Fachleute mit einem grossen medizinischen Wissen und auch mit praktischer Erfahrung. Einen deutschen Namen für den Beruf gibt es nicht.
Einfache Fälle und chronisch Kranke
NP können einfachere akute Fälle übernehmen, etwa Patienten mit einer Harnwegsinfektion oder Husten. Und sie betreuen Patienten mit chronischen Krankheiten.
Sie überwachen deren Gesundheitszustand, beraten, beugen vor, planen und organisieren. Für die NP bedeutet das auch: Ein attraktives Arbeitsgebiet mit neuen Aufgaben und erweiterten Kompetenzen. Das sagt Christine Teuscher, NP bei Südland.
Geschützter Titel: Pflegeexperte oder Pflegeexpertin APN
NP tragen den Titel APN, Advanced Practice Nurse. Pflegefachleute mit der entsprechenden Aus- und Weiterbildung können sich als Pflegeexperte oder Pflegeexpertin APN registrieren lassen. Der Titel ist geschützt.
Auch Spitäler arbeiten bereits mit den Pflegeexpertinnen und -experten. Etwa das Spitalzentrum Oberwallis (SZO). Dort sind vier fertig ausgebildete und vier weitere in der Ausbildung stehende APN tätig. Kilian Ambord, Direktor Pflege und MTT (medizinisch-technische und medizinisch-therapeutische Bereiche), sieht grosses Potenzial: Im Spital nehmen sie den Ärztinnen und Ärzten viele Aufgaben ab, etwa bei Rapporten und Visiten, bei Labor-Verordnungen, bei Angehörigen- und Patientengesprächen oder bei der Austrittsplanung.
Betreuung nach dem Austritt
Und besonders für die Zeit nach dem Spitalaustritt sieht er die neuen Gesundheitsfachleute in einer führenden Rolle bei «Mobilen Teams», welche die Patienten zuhause begleiten. Die Walliser Regierung sieht Fachleute mit APN-Abschluss auch in ihrem
Masterplan gegen den Fachkräftemangel vor.
So reagieren die Patienten
Manche Patienten reagieren zuerst kritisch, wenn sie «nur» von einer «Krankenschwester» und nicht von einer Ärztin behandelt werden. Eine Studie zur Arbeit einer NP an den Solothurner Spitälern zeigte aber, dass solche Skepsis meistens rasch verfliegt. So sagte eine Patientin über die NP: «Ich vertraue ihr. Fragen kann sie ausreichend beantworten, bei Unklarheiten wendet sie sich direkt an einen Arzt.» Weiter betonten die Patienten, dass sie die NP als sehr anwesend erlebten.
Heisses Eisen: die Abrechnung
Ein grosses Problem gibt es aber derzeit: Ein offizieller Tarif für die APN existiert nicht. Die reinen Pflegeleistungen sind kein Problem. Schwierig ist der Teil, den heute der Arzt abrechnet, wie zum Beispiel Sprechstunden oder gewisse Behandlungen.
Wie die Praxen das handhaben, geben sie gegenüber Medinside nicht bekannt. Das Spital Oberwallis erfasst die Leistungen «intern systematisch».
Noch kein offizieller Gesundheitsberuf
Was ebenfalls derzeit noch fehlt: Der Abschluss als APN muss im Gesundheitsberufegesetz reglementiert werden. Derzeit übernimmt der Verein APN-CH die Reglementierung und nimmt die Berufsleute in sein Berufsregister auf.
Der Bund schreckt derzeit noch davor zurück, die NP offiziell in die Gesundheitsberufe aufzunehmen. Ökonomen befürchten, dass eine neue Berufsgruppe die Gesundheitskosten noch mehr steigern könnte. Das muss aber nicht sein: Geht man davon aus, dass die Patienten sowieso da sind, kostet deren Versorgung mit NP weniger.
Günstige Ausbildung
NP können bereits nach fünf Jahren Ausbildung im Einsatz sein. Ihr Studium ist mit ungefähr 250’000 Franken wesentlich billiger ist als jenes von Fachärzten, das durchschnittlich 1,3 Millionen kostet. Die Ausbildung könnte auch mehr junge Menschen in den neuen Beruf locken, etwa solche, die den Numerus clausus für ein Medizinstudium nicht bestehen. Sie wenden sich heute oft komplett von der Gesundheitsbranche ab.
So wird man Nurse Practitioner
NP machen zuerst einen Bachelor als diplomierte Pflegefachperson. Normalerweise folgen ein bis zwei Jahre praktische Arbeit und dann ein zweijähriges Masterstudium. Auch Pflegefachleute mit längerer Berufserfahrung können das Masterstudium nachholen. Bisher bieten die Gesundheitsfachhochschulen sowie die Universitäten Basel und Lausanne diese Studiengänge an, über 1000 Personen haben ihn abgeschlossen. Etwa 50 Praxen und Ambulatorien setzen bisher auf APN.
Manche Hausärzte schrecken davor zurück, Verantwortung an NP abzugeben. Allerdings zeigt sich, dass die Entlastung gross sein kann. Ausserdem geht der Trend sowieso in Richtung neuartiger Praxen, die nicht von einem Hausarzt oder einer Hausärztin allein betrieben werden, sondern auch NP und Physiotherapeuten umfasst.
Der Südland-Geschäftsführer Daniel Flach ist jedenfalls überzeugt: «NP bringen für Praxen einen grossen Vorteil,.» Dieser Vorteil sei aber von den Fachpersonen in den Entscheidungsgremien noch nicht erkannt worden. Das werde aber noch kommen. «Sobald diese Leute von einer NP behandelt werden, werden sie verstehen: Yes, das braucht es!»
Auch hier sind die Pflege-Expertinnen am Zug
Spitex Stadt Zürich: Der Telemedizinanbieter «Santé24»
arbeitet mit der Spitex Zürich zusammen: Nach einem Anruf kommt eine APN innert vier Stunden und untersucht die Patienten. Zusammen mit einem Arzt stellt sie die Diagnose und spricht die Behandlung ab.
Im Zürcher Oberland übernehmen so genannt Heavy Nurses kleinere Notfälle, Untersuchungen, Wundpflege und die Langzeitbetreuung von chronisch erkrankten Patienten, oder sie führen Hausbesuche durch.
In der
Chirurgie der Solothurner Spitäler (SOH)
betreut eine NP Patienten mit definierten, nicht komplexen Diagnosen. Medizinisch arbeitet sie in einer ähnlichen Rolle wie eine Assistenzärztin.
Eine pflegeleitete Praxis: Das soll die Brotegg-Praxis in Frauenfeld TG werden. Noch fehlt allerdings die Betriebsbewilligung, denn solche Praxen sind im Gesetz noch gar nicht vorgesehen. Allerdings könnte das ändern, denn Präsidentin des Vereins Brotegg-Praxis ist die SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher.