«Ärztepfusch» ist ein heikler Vorwurf

Ein Privatsender und eine Zeitung erhoben heftige Vorwürfe gegen das Bürgerspital Solothurn. Nun werden sie deswegen vom Schweizer Presserat gerüffelt. Es geht um eine Standard-Situation im Verhältnis von Medizin und Medien.

, 22. Januar 2016 um 08:57
image
  • solothurner spitäler ag
  • solothurn
  • spital
  • kunstfehler
Der TV-Sender Tele M1 strahlte vor rund einem Jahr einen Beitrag aus, in dessen Zentrum eine junge Frau stand. Sie hatte mit schweren Bauchschmerzen die Notfallstation des Bürgerspitals Solothurn aufgesucht. Laut ihrer Darstellung nahmen die Ärzte dort ihre Lage nicht ernst genug, worauf sie entschied, sich in eine Hirslanden-Klinik jenseits der Kantonsgrenzen bringen zu lassen.
Die Frau hatte einen Darmverschluss erlitten. In der Nacht noch wurde sie operiert, worauf der Chirurg der Patientin tags darauf zu verstehen gab, ihr Schicksal sei auf Messers Schneide gewesen.

Das Wörtchen «wieder»

Soweit die Darstellung des TV-Beitrags, der in den Kernaussagen danach noch von der «Solothurner Zeitung» übernommen wurde. Im Hintergrund stand, dass sieben Jahre zuvor, im Jahr 2008, eine Frau vom Bürgerspital mit der Diagnose Magen-Darm-Grippe nach Hause geschickt worden war und wenig später an ihrem Darmverschluss verstarb. Die Beiträge weckten in der Doppelung das Gefühl, dass hier ein fundamentales Problem vorliegen könnte. «Wieder Ärztepfusch im Bürgerspital Solothurn?», so denn auch die Frageform, mit der Tele M1 den Beitrag ankündigte.
Die Solothurner Spitäler AG wandte sich in der Folge an den Presserat: In der Beschwerde brachte die Betreiber-Gesellschaft des Bürgerspitals vor, dass ihr gar keine genügende Chance zur eigenen Darstellung eingeräumt worden war. Die Position des Spitals war im Beitrag vollständig aussen vor geblieben, der Journalist hatte lediglich erwähnt, das Spital wolle mit Verweis auf die Schweigepflicht nichts sagen.

«Sehr wohl als mögliche Ursache»

Wie der Presserat nun befand, sei der Eindruck entstanden, «die Verantwortlichen wollten keine Stellung nehmen und versteckten sich hinter dem Arztgeheimnis». Tatsächlich habe sich das Spital zum Zeitpunkt der Ausstrahlung gar nicht zum Fall äussern dürfen, da die Patientin die Beteiligten noch nicht von der Schweigepflicht entbunden habe.
Zwei Tage später geschah dies, worauf das Bürgerspital Solothurn mit einem Communiqué reagierte: Es betonte, «dass bei der Patientin sehr wohl die Verdachtsdiagnose eines Darmverschlusses als mögliche Ursache ihres Bauchwehs erstellt wurde». Die Befunde seien jedoch unauffällig und uneindeutig gewesen, weshalb sich die behandelnden Ärzte entschieden hätten, «mit dem Eingriff noch zuzuwarten».

Hinweisen oder zuwarten?

Der Presserat befand nun, dass der Sender zumindest hätte erklären müssen, weshalb die Stellungnahme fehlte – oder aber mit der Ausstrahlung zuzuwarten.
Der Chefredaktor von Tele M1, Stephan Gassner, widersprach gestern indes der Darstellung des Spitals: «Wir haben dem Spital eine Schweigepflichtentbindung seitens der Patientin am Tag der Berichterstattung angeboten», so Gassner zur SDA
So weit, so unterschiedlich die Blickwinkel. Aber grundsätzlich greifbar wird in diesem Fall – unter anderem – die Gratwanderung zwischen journalistischem Zeitdruck und ärztlicher Schweigepflicht. Sowie andrerseits die Frage, wie sehr die medizinischen Versorger mit dem Hinweis auf diese Schweigepflicht auch einfach abblocken könnten.

Fazit: Standard-Verweis auf Schweigepflicht reicht nicht

Es ein Dauerkonflikt. So musste der Presserat im Herbst 2009 das Spital Wil vor dem «Blick» verteidigen, der in einer mehrteiligen Artikelserie ebenfalls «Ärztepfusch» gewittert hatte. In diesem sehr ähnlichen Fall ging es um ein Baby, bei dem die Ärzte eine Lungenentzündung übersehen beziehungsweise als Erkältung missverstanden haben sollen. 
Auch hier befand der Presserat am Ende, dass der kurze Verweis auf die Schweigepflicht nicht genüge und die Zeitung «die dem Vorwurf des „Ärztepfuschs“ entgegenstehende Sichtweise des Spitals Wil wenigstens gerafft in fairer Weise (hätte) wiedergeben müssen.»
Der Beitrag über die Patientin im Solothurnischen ist übrigens weiterhin online verfügbar.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

So wird KI fit für die klinische Routine

Vivantes integriert mit clinalytix KI in die täglichen Behandlungsprozesse

image

GZO Spital Wetzikon: Definitive Nachlassstundung bewilligt

Damit wird dem Spital Wetzikon die benötigte Zeit eingeräumt, um das Sanierungskonzept anzugehen.

image

Das MediData-Netz: Damit alle profitieren

Die Digitalisierung im Gesundheitssystem ist dringend und bringt Vorteile für Health Professionals und Patient:innen. Die Standardisierung des Forums Datenaustauschs ermöglicht eine sichere Vernetzung und effiziente Prozesse. Das MediData-Netz ermöglicht die schnelle Implementierung neuer Lösungen.

image

Gesundheitsfördernde Materialien gesucht?

Die Wahl passender Materialien ist bei Neu- und Umbauten eine grosse Herausforderung – auch im Gesundheitsbereich. Denn diese müssen unterschiedlichen und hohen Anforderungen gerecht werden. Nicht immer ist das jahrelang Eingesetzte die beste Wahl und neue Alternativen haben es schwer.

image

Spitäler Schaffhausen: Gesamterneuerung teurer, Kosten bei 330 Millionen Franken

Dabei soll der Kanton insgesamt 130 Millionen Franken beitragen.

image

Spital Thusis: Zwischen Status Quo und Leistungsabbau

Soll das Spital Thusis in der heutigen Form erhalten bleiben – oder sich auf Kernbereiche beschränken? Dies die vorliegenden Szenarien. Ein Entscheid soll bis Mai 2025 fallen.

Vom gleichen Autor

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.