Der TV-Sender Tele M1 strahlte vor rund einem Jahr einen Beitrag aus, in dessen Zentrum eine junge Frau stand. Sie hatte mit schweren Bauchschmerzen die Notfallstation des Bürgerspitals Solothurn aufgesucht. Laut ihrer Darstellung nahmen die Ärzte dort ihre Lage nicht ernst genug, worauf sie entschied, sich in eine Hirslanden-Klinik jenseits der Kantonsgrenzen bringen zu lassen.
Die Frau hatte einen Darmverschluss erlitten. In der Nacht noch wurde sie operiert, worauf der Chirurg der Patientin tags darauf zu verstehen gab, ihr Schicksal sei auf Messers Schneide gewesen.
Das Wörtchen «wieder»
Soweit die Darstellung des TV-Beitrags, der in den Kernaussagen danach noch von der «Solothurner Zeitung» übernommen wurde. Im Hintergrund stand, dass sieben Jahre zuvor, im Jahr 2008, eine Frau vom Bürgerspital mit der Diagnose Magen-Darm-Grippe nach Hause geschickt worden war und wenig später an ihrem Darmverschluss verstarb. Die Beiträge weckten in der Doppelung das Gefühl, dass hier ein fundamentales Problem vorliegen könnte. «Wieder Ärztepfusch im Bürgerspital Solothurn?», so denn auch die Frageform, mit der Tele M1 den Beitrag ankündigte.
Die Solothurner Spitäler AG wandte sich in der Folge an den Presserat: In der Beschwerde brachte die Betreiber-Gesellschaft des Bürgerspitals vor, dass ihr gar keine genügende Chance zur eigenen Darstellung eingeräumt worden war. Die Position des Spitals war im Beitrag vollständig aussen vor geblieben, der Journalist hatte lediglich erwähnt, das Spital wolle mit Verweis auf die Schweigepflicht nichts sagen.
«Sehr wohl als mögliche Ursache»
Wie der Presserat nun befand, sei der Eindruck entstanden, «die Verantwortlichen wollten keine Stellung nehmen und versteckten sich hinter dem Arztgeheimnis». Tatsächlich habe sich das Spital zum Zeitpunkt der Ausstrahlung gar nicht zum Fall äussern dürfen, da die Patientin die Beteiligten noch nicht von der Schweigepflicht entbunden habe.
Zwei Tage später geschah dies, worauf das Bürgerspital Solothurn mit einem Communiqué reagierte: Es betonte, «dass bei der Patientin sehr wohl die Verdachtsdiagnose eines Darmverschlusses als mögliche Ursache ihres Bauchwehs erstellt wurde». Die Befunde seien jedoch unauffällig und uneindeutig gewesen, weshalb sich die behandelnden Ärzte entschieden hätten, «mit dem Eingriff noch zuzuwarten».
Hinweisen oder zuwarten?
Der Presserat befand nun, dass der Sender zumindest hätte erklären müssen, weshalb die Stellungnahme fehlte – oder aber mit der Ausstrahlung zuzuwarten.
Der Chefredaktor von Tele M1, Stephan Gassner, widersprach gestern indes der Darstellung des Spitals: «Wir haben dem Spital eine Schweigepflichtentbindung seitens der Patientin am Tag der Berichterstattung angeboten»,
so Gassner zur SDA.
So weit, so unterschiedlich die Blickwinkel. Aber grundsätzlich greifbar wird in diesem Fall – unter anderem – die Gratwanderung zwischen journalistischem Zeitdruck und ärztlicher Schweigepflicht. Sowie andrerseits die Frage, wie sehr die medizinischen Versorger mit dem Hinweis auf diese Schweigepflicht auch einfach abblocken könnten.
Fazit: Standard-Verweis auf Schweigepflicht reicht nicht
Es ein Dauerkonflikt. So musste der Presserat im Herbst 2009 das Spital Wil vor dem «Blick» verteidigen, der in einer mehrteiligen Artikelserie ebenfalls «Ärztepfusch» gewittert hatte. In diesem sehr ähnlichen Fall ging es um ein Baby, bei dem die Ärzte eine Lungenentzündung übersehen beziehungsweise als Erkältung missverstanden haben sollen.
Auch hier
befand der Presserat am Ende, dass der kurze Verweis auf die Schweigepflicht nicht genüge und die Zeitung «die dem Vorwurf des „Ärztepfuschs“ entgegenstehende Sichtweise des Spitals Wil wenigstens gerafft in fairer Weise (hätte) wiedergeben müssen.»