Im Jahr 2019 mussten sämtliche Kliniken am Kantonsspital Aarau (KSA) im Rahmen eines Sparprogrammes Kosten senken. Auch der Chefarzt der Klinik für Neurochirurgie musste auf Verlangen der Spitalleitung Personalkosten reduzieren. In der Neurochirurgie waren diese zudem um einige hunderttausend Franken höher ausgefallen als budgetiert.
Der damalige Chefarzt Javier Fandino wollte wissen, wie es zu dieser Überschreitung gekommen war. Doch das Controlling des Kantonsspitals konnte es dem Spitzenchirurgen nicht auf Anhieb sagen, wie die NZZ am Freitag berichtet.
Im Februar 2020 löste dann die Personal-Abteilung das Rätsel, nachdem die Lohnzahlungen überprüft wurden: Ein Oberarzt hatte die jährliche Leistungsprämie Ende 2018 zwölfmal statt einmal ausbezahlt bekommen. Es war ein buchhalterischer Systemfehler: Der Neurochirurg erhielt auf einmal 372'000 statt 31'000 Franken auf sein Konto überwiesen.
Chirurg hat selber gekündigt
Der Oberarzt, der den Fehler wohl kaum übersehen konnte, hatte die viel zu hohe Überweisung aber nicht gemeldet, wie erwartet werden dürfte. Fandino verlangte, dass sich das Spital wegen des «Vertrauensbruchs» von ihm trennen müsse, schreibt die Zeitung. Denn bei einem ähnlichen Fall mit einer Summe von 72'000 Franken musste eine Oberärztin ein paar Monate zuvor ebenfalls gehen.
Doch sowohl der Chief Medical Officer als auch der Personalchef hätten sich gemäss Zeitung lange dagegen gesträubt, bis sie einer Entlassung des Oberarztes per Mitte 2020 doch zustimmten. Diesen Vorwurf kann das KSA allerdings so nicht stehen lassen. Man habe lediglich einer Verlängerung der Kündigungsfrist zugestimmt. Der Chirurg hat schliesslich selber gekündigt.
«Wäre ohne weiteres erkennbar gewesen»
Merkwürdig an der Geschichte scheint, dass ein einziger Blick gereicht hätte, um das Offensichtliche zu erkennen, wird Fandinos Anwalt in der NZZ zitiert. «Bei den Erfolgsbeteiligungen/Prämien waren 112'000 Franken budgetiert, und effektiv wurden über 540'000 Franken ausbezahlt.» Die Differenz sei ebenfalls auf den Unterlagen ersichtlich gewesen und hätte für eine Finanzabteilung «natürlich ohne weiteres erkennbar» sein müssen.
Javier Fandino, der inzwischen nicht mehr am KSA arbeitet, wollte den Vorfall laut Zeitungsbericht zudem an den Verwaltungsrat melden. Doch das sei ihm anscheinend untersagt worden. Man habe ihm offenbar mitgeteilt, dass er Probleme bekomme, wenn er das mache. Auch diesen Vorwurf weist KSA-Sprecherin Isabelle Wenzinger gegenüber der NZZ klar zurück: Fandino sei nie davon abgehalten worden, mit dem Gremium zu sprechen.
Personalchef wollte zuerst ärztlichen Direktor informieren
In einer E-Mail vom Februar 2020 bezeichnet der KSA-Personalchef die Angelegenheit als «unschön». Er schreibt Fandino in einer Nachricht, die auch Medinside vorliegt, folgende Zeilen: «Ich war der Meinung, dass wir beide vereinbart haben, dass die Thematik vorerst unter uns bleibt.» Er habe die Erwartung, dass dies auch so eingehalten werde. Wie vereinbart werde er lediglich den ärztlichen Direktor informieren.
Auf Anfrage erklärt der KSA-Personalchef, dass es bei solchen Sachverhalten üblich sei, zuerst die betroffenen und vorgesetzten Personen zu informieren und anzuhören. Dies sei zum Zeitpunkt des E-Mails aber noch nicht geschehen. Deshalb habe er darauf bestanden, wie mit Fandino vereinbart, vorab den betroffenen Oberarzt und den ärztlichen Direktor zu informieren. Denn bei solchen Angelegenheiten entständen schnell falsche Interpretationen und Gerüchte.