Ohne Besuche mehr Ruhe in der Gebärabteilung

Mütter können besser stillen, die Babys sind ruhiger: Deshalb behalten einige Spitäler ihre Besuchsbeschränkungen vielleicht sogar bei.

, 3. März 2021 um 16:25
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Auf den ersten Blick scheint es paradox: Etliche Schweizer Spitäler überlegen sich ernsthaft, auch nach der Pandemie an ihren Geburtsabteilungen eine einschneidende Corona-Regelung beizubehalten: nämlich die strengen Besuchszeiten. Es zeigt sich immer deutlicher, dass es oft gar nicht der Wunsch der Mütter ist, gleich nach der Geburt möglichst viel Besuch zu empfangen.

Im USZ wirken die Mütter weniger gestresst

Jedenfalls hat das Corona-bedingte Besuchsverbot in den Wochenbett-Abteilungen erstaunlich gute Auswirkungen. Durchs Band weg berichten die Spitäler, dass die Mütter ruhiger sind und besser stillen können. Das hat nicht nur ein Bericht der «Berner Zeitung» über die Berner Spitäler ergeben, sondern auch die Umfrage von Medinside bei anderen Schweizer Spitälern.
Yvonne Widmer, Hebammenexpertin der Wochenbett-Abteilung an der Klinik für Geburtshilfe am USZ, hat festgestellt: «Die Frauen auf der Wochenbett-Abteilung wirken ausgeschlafener und weniger gestresst. Der Eindruck ist, dass sich die Frauen mehr Zeit nehmen können, um ihre Kinder kennenzulernen und sich aufgrund der geringeren Ablenkungen auch mehr auf das Stillen fokussieren können.»

Mehr Zeit für sich und das Kind

Im Luzerner Kantonsspital (LUKS) sind die Mütter viel ruhiger und «auch aufnahmefähiger», wie Markus Hodel, Chefarzt der Geburtshilfe und Fetomaternalen Medizin der Frauenklinik, sagt. Und im Kantonsspital St. Gallen haben die Mütter auf der Geburtsabteilung mehr Zeit für sich und das Kind, sagt Mediensprecher Philipp Lutz.
Doch nicht nur in den grossen Spitälern ist dank den Corona-Besuchsbeschränkungen mehr Ruhe eingekehrt. Auch im Bethesda-Spital in Basel, das auf Geburtshilfe spezialisiert ist, hat man nach der Einschränkung der Besuche positive Veränderungen festgestellt: «Die Eltern haben schon auf der Abteilung viel gemeinsame Zeit, das Personal kann sich besser auf die Bedürfnisse der Frauen einstellen und auch der Stillbeginn klappt wesentlich besser», so Bernd Gerresheim, der Chefarzt Geburtshilfe und Pränatalmedizin.

Partner wichtig

Aufgrund einer Befragung der Eltern hat das Spital festgestellt, dass beinahe alle Wöchnerinnen sehr zufrieden sind mit der eingeschränkten Besuchserlaubnis und sich keine weiteren Besuche wünschen. Im Bethesda-Spital sind der Lebenspartner oder die Lebenspartnerin sowie die Geschwisterkinder des Neugeborenen ausdrücklich vom Besuchsverbot ausgenommen.
Auch in anderen Spitälern ist man davon überzeugt, dass die Unterstützung des Partners sehr wichtig sei. «Wenn gleichzeitig andere Besuche verboten sind, könnten die Eltern die wertvolle erste Zeit mit dem Neugeborenen intensiver teilen», sagt etwa Martina Gschwend vom Spital Thurgau.

Papi-Verbot in Lausanne

Im USZ konnten die Pflegepersonen auf den Wochenbettabteilungen beobachten, dass die Frauen die Einschränkungen der Besuche besser akzeptieren, seit der Partner täglich eine Stunde auf Besuch kommen darf.
Trotzdem gibt es Spitäler, die sogar die Väter-Besuche mit wenigen Ausnahmen verbieten, etwa das Lausanner Universitätsspital (CHUV). Hintergrund dieser drastischen Massnahme sind die Corona-Infektionen von vier Müttern auf der Geburtsabteilung: Angesteckt wurden diese, weil zwei Väter trotz leichter Erkältungssymptomen einen Spitalbesuch machten und ihre Masken abzogen, als das Personal nicht im Zimmer war. Trotz Väter-Verbot ist aber auch im CHUV feststellbar: Die Mütter sind weniger müde und gestresst, die Bébés schlafen besser und trinken mehr. Ausserdem sind die Wochenbett-Aufenthalte im Spital kürzer geworden.

Zuerst Bedenken – dann Begeisterung

Zumindest in jenen Spitälern, wo die Väter Zutritt haben, ist die anfängliche Skepsis der Eltern meistens vorübergehend. In den Thurgauer Kantonsspitälern Frauenfeld und Münsterlingen beobachten die Hebammen, dass die Frauen zwar vor der Geburt teilweise Bedenken haben, dass sie keinen Besuch empfangen dürfen. «Nach der Geburt merken sie jedoch, dass sie dem Kind in Ruhe viel mehr Aufmerksamkeit schenken können», sagt Martina Gschwend.

LUKS und St. Gallen haben bereits leicht reduziert

Yvonne Widmer vom USZ stellt fest: «Immer mehr Frauen wissen die Vorteile der Situation zu schätzen. Sie haben so auch mehr Zeit, ihr Kind kennenzulernen und sich zu erholen.»
Auch im LUKS ist die Mehrheit der Mütter sehr zufrieden. Markus Hodel vom LUKS sagt, dass die Aussicht, weniger Besuch empfangen zu können, zwar vor der Geburt schwierig sein könnte, doch «im Wochenbett ist dies meist kein Thema mehr.» Das LUKS hat denn auch die Besuchszeiten bereits etwas angepasst. Auf der Mutter-Kind-Abteilung sind allgemeine Besuche nur noch von 15 bis 19 Uhr erlaubt. Ausnahmen gibt es für den Partner oder die Partnerin.

Auch andere Spitäler sind am Abwägen

Am Kantonsspital St. Gallen kann man sich laut Mediensprecher Philipp Lutz vorstellen, künftig die Besuchszeiten etwas einzuschränken: Statt wie vor der Pandemie von 15 bis 20 Uhr wären Besuche dann nur noch bis 18 Uhr erlaubt. Väter sind davon ausgenommen.
Fürs USZ ist es zumindest «nicht ausgeschlossen», dass die Klinik für Geburtshilfe die eingeschränkten Besuchszeiten beibehält. Auch im Bethesda-Spital liebäugelt man mit einer Änderung: «Es spricht viel dafür, dass wir die Besuchsregelung auch dann beibehalten werden, wenn sie nach Corona theoretisch nicht mehr nötig sein wird», sagt Daniel Klötzli, Presseprecher des Bethesda-Spitals. Definitiv entschieden ist aber noch nichts. Im Spital Thurgau gibt es noch keine konkreten Pläne dazu, wie die Besuchszeiten nach der Pandemie geregelt werden sollen.
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