In den industrialisierten Gesellschaften nehmen die Brustkrebsfälle seit Ende der 60er-Jahre erheblich zu. Die Ursachen sind zwar immer noch weitgehend unbekannt. Trotzdem werden sie in der wissenschaftlichen Literatur mehr oder weniger auf Umweltfaktoren oder unseren Lebensstil zurückgeführt und weniger auf genetische Ursachen.
Epidemiologische Analysen zeigen, dass die bislang ermittelten Risikofaktoren, nämlich Fettleibigkeit, Alkohol, Tabak oder die Exposition gegenüber den Hormonen Östrogen und Progesteron nur zu einem geringen Teil die beobachteten Krebsfälle erklärt.
Brustkrebs entsteht vorwiegend in den äussern Bereichen der Brustdrüse, in der Nähe der Achselhöhle, wo die Haut sehr dünn und durchlässig ist. Diese Feststellung hat zur Hypothese geführt, dass einer oder mehrere chemische Bestandteile von Deodorants die Ursache für die oben genannte Zunahme der Brustkrebsfälle sein können.
2016: Die ersten Beweise
Seit einigen Jahren arbeitet eine Forschergruppe der Fondation des Grangettes, des onkohämatologischen Zentrums der Hirslanden Clinique des Grangettes sowie der Universität Oxford an der Hypothese, dass Aluminiumsalze, die in Deodorants und bestimmten Sonnencremes in hohen Konzentrationen vorkommen, möglicherweise zu den ursächlichen Umweltfaktoren zählen könnten.
Ihre früheren Arbeiten haben gezeigt, dass Brustzellen, die in Gegenwart von Aluminiumsalzen gezüchtet werden, in der Lage sind, bei Tieren sehr aggressive metastatische Tumore zu bilden – selbst wenn die Aluminiumkonzentration etwa 5000 bis 50'000 Mal geringer war als diejenige, die in Deodorants gefunden und den in der menschlichen Brustdrüse gemessenen wurden. Die Ergebnisse erschienen 2016 in der Zeitschrift
International Journal of Cancer.
Sie boten erste aussagekräftige Beweise für das kanzerogene Potenzial von Aluminiumsalzen. Allerdings blieb noch zu klären, über welche biochemischen Wege oder Wirkmechanismen Aluminiumsalze ihre kanzerogene Wirkung auf Brustdrüsen ausüben, ist dem Communiqué der
Fondation des Grangettes zu entnehmen.
Ein erster wichtiger Meilenstein
Durch neue Experimente, die im Labor der Fondation des Grangettes hauptsächlich im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem onkohämatologischen Zentrum der Hirslanden Clinique des Grangettes und dem Chromosome Dynamics-Team des Wellcome Centre for Human Genetics (Universität Oxford) durchgeführt wurden und deren Ergebnisse vor kurzem in zwei neuen Artikeln veröffentlicht wurden (
Tenan et al., Int. J. Mol. Sci. 2021, 22, 9515 und
Mandriota et al., Int J Mol Sci. 2020; 21:9332) konnten mehrere Aspekte des Wirkmechanismus von Aluminium bei der Zelltransformation analysiert werden.
Zum einen überprüften die Forscher, ob Aluminium tatsächlich in die Zellen dringt, und zum anderen, ermittelten sie, ob die in den Brustzellen beobachteten, durch die Aluminiumexposition verursachten DNA-Brüche (
Sappino et al., J Appl Toxicol. 2012; 32:233-243) eine genomische Instabilität bewirken könnten, manifestiert durch eine Veränderung von Struktur und Anzahl der Chromosomen.
Die genomische Instabilität ist eine Eigenschaft, die praktisch alle menschlichen Tumoren aufweisen und Voraussetzung für eine Umwandlung von Zellen der Brustdrüse in bösartige Zellen ist.
Das sind die formellen Beweise
Durch diese neuen Versuche kann bestätigt werden, dass Aluminiumsalze sehr schnell von den Zellen aufgenommen werden und zudem in den Stunden danach erhebliche Veränderungen der physischen Struktur und Anzahl der Chromosomen bewirken. Anders ausgedrückt, weisen diese Ergebnisse darauf hin, dass Aluminium durch eine schnelle Destabilisierung des Genoms eine bösartige Umwandlung der Brustzellen fördert.
Ähnlichkeiten mit Asbest und Tabak
Diese neuen Ergebnisse dürften die Gesundheitsbehörden von der Notwendigkeit überzeugen, das Risiko einer wiederholten Exposition gegenüber Aluminium für die menschliche Gesundheit anzuerkennen und die Verwendung dieser durch die Kosmetikindustrie zu beschränken, schreibt die Fondation des Grangettes.
«Diese Studien zu Aluminiumsalzen weisen in eine ähnliche Richtung wie jene zu mittlerweile bestätigten kanzerogenen Substanzen wie Tabak oder Asbest: Substanzen, deren Toxizität ursprünglich unterschätzt oder sogar vollständig ignoriert wurde und die dennoch im Verlauf der Zeit zu einer ausreichend klinisch etablierten Realität geworden sind», geben die Forscher zu denken.
Der Rahmen der durchgeführten Studien
Diese Beobachtungen wurden an einer grossen Stichprobenzahl durchgeführt (rund 300 Zellen pro Versuchsbedingung). Dadurch konnten äusserst zuverlässige statistische Analysen durchgeführt und anerkannte Versuchsmodelle der regulatorischen Humantoxikologie einbezogen werden.
Aluminium in Kosmetika (noch) erlaubt
In der Schweiz sind Aluminiumsalze in Antitranspiranten erlaubt. Der
Bundesrat verabschiedete am 1. Juli 2020 einen entsprechenden Bericht. Nach dem damaligen Wissensstand konnte kein Kausalzusammenhang zwischen dem Aluminium in Antitranspiranten und Brustkrebs nachgewiesen werden. In der Schweiz wie in der Europäischen Union (EU) ist Aluminium in Kosmetika einheitlich geregelt.