Dinosaurier wie das Triemli-Spital sterben aus

Die Führung eines Spitals als Verwaltungseinheit sei mit Nachteilen verbunden, schreibt Jérôme Cosandey in einem Gastbeitrag. Und Selbstständigkeit sei nicht zu verwechseln mit Narrenfreiheit und schon gar nicht mit Qualitätsabbau.

, 13. Februar 2020 um 07:55
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Das Spital Triemli-Waid in Zürich gehört zusammen mit dem Kantonsspital Obwalden und dem Unispital in Lausanne zu den letzten drei Dinosauriern, die noch als Teil der öffentlichen Verwaltung geführt werden. Alle anderen 180 Akutspitäler der Schweiz geniessen mehr Selbstständigkeit und damit unternehmerischen Handlungsspielraum: Das Universitätsspital Zürich zum Beispiel ist eine selbstständige Anstalt des kantonalen öffentlichen Rechts, das Spital Wetzikon Teil einer gemeinnützigen AG, und die Insel-Gruppe in Bern firmiert als Stiftung.
Dies aus guten Gründen: Die Führung eines Spitals als Verwaltungseinheit ist mit Nachteilen verbunden – etwa durch die Beschränkung der finanziellen Autonomie und die Einmischung der Politik in das Tagesgeschäft. So beklagte sich der frühere Triemli-Direktor Erwin Carigiet in einem Interview, dass der Gemeinderat wiederkehrende Ausgaben ab 50 000 Franken bewilligen müsse. Ein Betrieb mit 3000 Mitarbeitern, der jede neue Stelle vom Parlament absegnen lassen muss, leidet unter einem substanziellen Wettbewerbsnachteil gegenüber seiner agileren Konkurrenz.
Diese Einmischung der Politik spitzte sich 2017 zu, als das Stadtparlament von der damals zuständigen Stadträtin Claudia Nielsen verlangte, halbjährlich über den Fortschritt der neuen Strategieentwicklung zu berichten. Das verschaffte den Konkurrenten des Triemli-Spitals einen Vorsprung, noch bevor die neue Strategie überhaupt verabschiedet, geschweige denn umgesetzt war.
Doch damit nicht genug: Ein in die Verwaltung integriertes Spital gerät zwangsläufig in die Mühlen der Politik. Gesundheitspolitische Entscheide werden zum Pfand für überparteiliche Verhandlungen, die mit der strategischen Führung eines Spitals nichts zu tun haben. Kein Wunder, haben sich praktisch alle Schweizer Spitäler von solch veralteten Governance-Strukturen verabschiedet.
Der im Januar 2020 angekündigte Abschreiber von 167 Millionen Franken beim Spital Triemli zeigt exemplarisch auf, wie komplex die Führung medizinischer Institutionen geworden ist. Der Fortschritt bedingt teure Investitionen, während der politische Druck für mehr ambulante Eingriffe kostspielige Konsequenzen hat. Zusätzlich führt die neue Spitalfinanzierung, die Subventionen für öffentliche Spitäler stark einschränkt, zu grossen strategischen Herausforderungen.
Trotzdem können diese Entwicklungen allein die eklatanten finanziellen Fehlentscheide des Triemli-Spitals nicht erklären. Die neue Spitalfinanzierung wurde bereits 2007 auf Bundesebene verabschiedet, und der medizinische Fortschritt sowie die steigende Konkurrenz treffen schon lange alle Spitäler gleichermassen.
Vier Jahre nach dem Ausbau der Infrastruktur im Umfang von 400 Millionen Franken ist es an der Zeit, das Triemli-Spital in die Selbstständigkeit zu entlassen. Ein solcher Befreiungsschlag heisst nicht, dass die Politik jeglichen Einfluss in der Gesundheitspolitik verliert. Der Kanton definiert nach wie vor klare qualitative und wirtschaftliche Kriterien für ein Spital. Vorgeschrieben werden kann auch, welche Leistungsaufträge zu welchen Bedingungen erteilt werden – etwa die Führung eines Notfallzentrums.
Wie sich eine Institution aufstellt, um diesen Leistungsauftrag zu erfüllen, bleibt jedoch allein in der Verantwortung der Spitalleitung. Diese muss sich nur gegenüber ihrem obersten Organ (dem Stiftungsrat, dem Spitalrat oder dem Verwaltungsrat, je nach Rechtsform) verantworten, nicht mehr der Politik.
Selbstständigkeit ist nicht zu verwechseln mit Narrenfreiheit und schon gar nicht mit Qualitätsabbau – im Gegenteil. Mehr Handlungsspielraum bedingt mehr Verantwortung gegenüber den Patienten und den Mitarbeitenden. Bei Fehlentscheiden kann man sich nicht mehr hinter den launischen Entscheidungen der Politik verstecken. Wenn es gelingt, diese Verantwortung wahrzunehmen, könnten Millionendefizite zulasten der Steuerzahler verschwinden wie einst die Dinosaurier.
Dr. Jérôme Cosandey ist seit dem 1. September 2018 Directeur romand von Avenir Suisse. Er setzt sich zudem als Forschungsleiter Finanzierbare Sozialpolitik vorwiegend mit der Altersvorsorge, Gesundheitspolitik sowie mit dem Generationenvertrag auseinander. Nach seiner Promotion an der ETH war er mehrere Jahre als Strategieberater bei The Boston Consulting Group, danach bei der UBS tätig, bevor er 2011 zu Avenir Suisse stiess. Er hält zudem einen Master der Universität Genf in internationaler Wirtschaftsgeschichte.
  • Dieser Gastbeitrag ist zuerst am 8. Februar 2020 im «Tages-Anzeiger» erschienen. 
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