Ein Spital in massiver Schieflage

Harsche Kritik von Belegschaft und Zuweisern an der Leitung des Spitals Bülach. Der offen geführte Streit ermöglicht spannende Einblicke - und gibt weitere Anhaltspunkte, was zur fristlosen Entlassung des Chefarztes Nic Zerkiebel geführt hat.

, 30. Oktober 2020 um 12:22
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Solche ungeschönten Innenblicke in die internen Diskussionen eines Spitals erhält man sonst praktisch nie. Wobei der Begriff Diskussion nicht wirklich trifft. Eher ist es ein sehr hart geführter Streit. Im Rahmen eines Podiumsgesprächs zum Spital Bülach sieht sich die Spitalleitung am Donnerstagabend mit massiven Vorwürfen konfrontiert - auch im Kontext der fristlosen Entlassung des beliebten Chefarztes der Inneren Medizin, Nic Zerkiebel. Auch Rücktrittforderungen werden geäussert.
Eingeladen zum Podium hat die Ärztegesellschaft des Zürcher Unterlandes (AZUL). Auf der Bühne stehen der Spital-CEO Rolf Gilgen, Verwaltungsrat Urs Müller, der den an Covid-19-erkrankten VR-Präsidenten vertrat, der Leitende Arzt der Notfallstation, Bernd Yuen, und der Gynäkologe Patric Beer, der zuweisender Arzt und Belegarzt des Spitals ist.

«Sie haben keinen Rückhalt - alle sind gegen Sie»

Beer, der als Vertreter der AZUL spricht, greift die Spitalleitung und den Verwaltungsrat frontal an. Das Spital werde «an die Wand gefahren». In den letzten zweieinhalb Jahren seien von der Klinikleitung «sehr viele Führungsfehler» gemacht worden. Etwa bei der Konsolidierung der Betten, der massiven Redimensionierung der Neonatologie und bei der Entlassung von Zerkiebel. «Sie haben keinen Rückhalt in der Basis, bei den Hausärzten. Alle sind gegen Sie», sagt Beer zu CEO Gilgen.
Dieser erwidert, dass die Fakten zeigten, dass man das Spital grundsätzlich gut führe. In den letzten Jahren habe man immer einen guten Jahresabschluss gehabt. Und ja, man stehe vor grossen Herausforderungen, auch weil das Zürcher Unispital in Kloten eben ein grosses Ambulatorium eröffnet habe. Man müsse viel investieren, damit es das Spital auch in fünf Jahren oder zehn Jahren noch gebe. «Das braucht dann in diese Phase auch Entscheidungen und die passenden finanziellen Ergebnisse, damit man das stemmen kann», so Gilgen. Das seien schwierige Entscheidungen. Und ja, es seien im kommunikativen Bereich Fehler passiert. Letzteres sieht auch Verwaltungsrat Müller so.

«Manche Abteilungen sind praktisch nicht mehr funktionsfähig»

Doch den Kritikern reicht das nicht. Intensivstationsleiter Yuen sagt, man habe zwar keinen Mangel an guten Mitarbeitenden, aber man habe einen Mangel an Personal. Man sei nicht so bereit für Covid-19, wie man es sollte: «Wir sind bereits jetzt total am Anschlag.» In den letzten Monaten sei es neben einem geplanten Stellenabbau auch zu vielen Kündigungen durch Mitarbeitende gekommen: «Manche Abteilungen sind deshalb praktisch nicht mehr funktionsfähig.» Etwa die Palliativabteilung, wo von rund zehn Vollzeitstellen derzeit noch gut drei besetzt seien. Das gleiche sei es auf der Privatstation. Insgesamt würde man 50 Vollzeitstellen in der Pflege mehr brauchen. Selbst im Vergleich mit dem Plan der Spitalleitung fehlten 12 Vollzeitstellen, so Yuen. Diese könne man nicht besetzten, weil das Spital Bülach derzeit für Jobsuchende schlicht nicht attraktiv sei.
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Waren sich auf dem Podium eigentlich nie einig: Rolf Gilgen (links) und Bernd Yuen (rechts). | Screenshot Youtube
«Die Unzufriedenheit war schon lange gross», sagt Yuen. Die Entlassung von Zerkiebel habe den schwelenden Unmut nun einfach zur Explosion gebracht – was sich auch in den Demonstrationen zeige. «Es gab den Antrag an die Geschäftsleitung, über die Unzufriedenheit zu reden», sagt Yuen. Doch diese habe nichts hören wollen und das Gespräch abgelehnt.
Die Leitung der zusammengelegten Privat- und Pflegestation meldet sich aus dem Publikum und bestätigt dies. Zusammen mit Zerkiebel habe sie Zahlen vorgelegt und vor den Folgen gewarnt, die nun eingetreten seien.

Zerkiebels Rolle wird klarer

Zerkiebel habe auch einen Wirtschaftsabschluss gehabt und die Führung des Spitals fundiert kritisiert, sagen Beer und Yuen. Dies sei dringend notwendig, denn diese agiere planlos. Aber offenbar nicht erwünscht. Zur Entlassung Zerkiebels sagt Beer: «Was passiert ist, hätte nicht passieren dürfen.» Man stehe vor der zweiten Covid-19-Welle, und die Spitalleitung entlasse den Chefarzt Innere Medizin. «Das ist der Kapitän der in der aktuellen Situation wichtigsten Klinik im Spital. Dieser müsste das Problem lösen.» Wie verkaufen Sie das der Bevölkerung, dass sie diesen Mann genau jetzt fristlos und ohne Erklärung entlassen, fragt er Gilgen.
Gilgen, der auch Präsident der Schweizerischen Vereinigung der Spitaldirektorinnen und Spitaldirektoren (SVS) ist, verweist auf ein Stillschweigeabkommen, das man mit Zerkiebels abgeschlossen habe. Und sagt, alle Mitarbeitenden seien gleich wichtig. Seine Verantwortung bei der Entlassung Ziergiebels werde überbewertet: «Es geht nicht um meine Person.» Er sei Teil einen Führungsteams. Wenn man eine solche Entlassungsentscheid fällen müsse, geschehe das nicht von einem Tag auf den anderen. Das sei ein «diffiziler Prozess», der vom Verwaltungsrat gefällt wurde. «Der CEO ist da nur ein kleines Rädchen.»

Gilgen: «Übernehme Verantwortung»

Aus dem Publikum melden sich Hausärztinnen und Pflegefachpersonen die Gilgen und Müller ihr Misstrauen aussprechen. Auch Zerkiebels Vorgänger auf dem Chefarztposten der Inneren Medizin, Georg Mang, und ein Leitender Arzt des Spitals Bülach werfen Gilgen vor, alleine zu entscheiden, dann aber die Verantwortung nicht zu übernehmen.
Gilgen entgegnet, dass er die Verantwortung sehr wohl übernehme. Er spricht davon, dass die Personalkosten mit 73 Prozent überdurchschnittlich hoch seien und man seit seinem Amtsantritt rund 300 Stellen geschaffen habe. Deshalb seien Kürzungen nun unumgänglich, alles andere wäre unverantwortlich. Und gerade weil die Leitung die Verantwortung wahrnehme, habe man die Neonatologie geschlossen. Diese schreibe ein Defizit von zwei Millionen Franken. Das sei bei einem Überschuss von fünf Millionen ein grosser Betrag. Zudem habe der Kanton signalisiert, dass man die Neonatologie auf der nächsten Spitalliste zentralisieren wolle und Bülach nicht zum Zuge komme.

Entscheide mit falschen Zahlen gefällt?

Der Chefarzt der Neonatologie, Urs Zimmermann, meldet sich zu Wort. Ohne Neonatologie würden viele der Gebärenden nicht mehr nach Bülach kommen, weil das Risiko so erhöht werde. Dann würde das Minus eventuell noch viel höher ausfallen. Er kritisiert, dass die Spitalleitung ohne Businessplan agiere und entscheide – und mit falsche Zahlen argumentiere. So habe man die neuerrichtete Neonatologiestation erst während des Jahres 2019 eröffnet – dann aber noch bevor die richtigen Zahlen vorliegend, den Entscheid zur massiven Redimensionierung gefällt. Auch Yuen sagt, dass man die Zahlen mit denen die Geschäftsleitung argumentiere, oft spielend leicht «in der Luft zerpflücken könne». Das sei im Bereich der Intensivstation ebenso wie bei der Geriatrie.
Gilgen weisst viele der Vorwürfe zurück. Er sehe das anders, man müsse sich an die Fakten halten. Noch gesteht er aber Kommunikationsmängel ein. Urs Müller verteidigt die Entscheidung des VR zur Neonatologie – gibt aber zu, dass diese ohne Businessplan getroffen worden ist. Man werde künftig besser kommunizieren.

Greift die Politik ein?

Beer appelliert zuletzt an die Politik. Diese müsse die Geschäftsleitung austauschen und auch im VR Änderungen vornehmen. Auch Intensivmediziner schliesst sich dem an. Seine Hoffnung setze er auf die guten Mitarbeitenden die das Spital habe.
Klar ist: Die Probleme im Spital Bülach sind auch nach diesem Podium gross.
Das ganze Podiumsgespräch kann hier nachgeschaut werden.
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