Etwa jeder zehnte Arzt gibt im Laufe seiner Karriere den Beruf auf. Dies besagt eine Erhebung, welche die FMH und der Assistenz- und Oberärzte-Verband VSAO in Auftrag gegeben haben.
Bei der Studie, die das Büro Vatter und GFS Bern gemeinsam erarbeiteten, wurden insgesamt 1'147 Ärzte befragt. Auf dieser Basis und mit weiteren Datenquellen kamen die Sozialforscher zum Schluss, dass etwa 8 bis 13 Prozent der Medizinern, die ihr Diplom zwischen 1980 und 2009 erlangt hatten, die kurative Tätigkeit aufgegeben haben.
Warum steigen sie aus? Die häufigsten Gründe von Männern und Frauen (Grafik: Studie)
Anders formuliert: Etwa 80 der rund 800 pro Jahr ausgebildeten Ärzte wechseln im Verlauf ihrer Karriere den Beruf und arbeiten nicht mehr am Patienten. Dabei erachtet nur ein kleiner Bruchteil der befragten Aussteiger eine Rückkehr als wahrscheinlich.
Wenig überraschend ist dabei, dass die Aussteiger-Quote bei den Frauen etwas höher ausfiel – sie liegt je nach Szenario 1,2 bis 1,6 Mal über der Quote der Männer.
Als Hauptgründe für den Wechsel nennen die Betroffenen primär Arbeitspensum und die Arbeitszeiten: Diese beiden Punkte werden mit Abstand am häufigsten erwähnt. Die Vereinbarkeit der ärztlichen Tätigkeit mit der Kinderbetreuung wird von gut jeder fünften ausgestiegenen Person vorgebracht (22 Prozent). Und etwa gleich viele nennen die Arbeitsinhalte selbst (21 Prozent).
Weitere nennenswerte Gründe sind das Anforderungsniveau, die eigene Gesundheit, eine Neuorientierung oder der vorzeitige Ruhestand.
Wann steigen sie aus? Zeitpunkt der Beendigung der kurativen Tätigkeit
Interessanterweise verteilen sich die Ausstiege ziemlich linear über die Lebensläufe: In jedem Jahr nach dem Diplom geben etwa gleich viele Mediziner die kurative Tätigkeit auf. Erst gegen Ende der Karriere steigt die Kurve etwas steiler an.
Allerdings ist schon eine erhebliche Zahl vor Aufnahme der Weiterbildungsphase erkennbar; dies insbesondere bei den Frauen: Etwa ein Viertel der Medizinabsolventen treten ihre Assistenzzeit gar nicht an. Ein beschleunigter Anstieg der Wechsel folgt bei den Frauen dann nochmals vier Jahre später: Hier dürfte dann der «Faktor Kind» recht direkt spürbar werden.
VSAO und FMH leiten aus diesen Daten nun auch konkrete Forderungen ab – respektive Massnahmen, die zu ergreifen wären, damit Ärztinnen und Ärzte ihre Tätigkeit am Patienten weiterverfolgen und nicht frühzeitig aussteigen.
Zeitgemässe Arbeitsbedingungen: Die Arbeitspensen und die Einsatzzeiten sollen attraktiver gestaltet werden. Zudem sollten Teilzeitstellen in allen Bereichen und Hierarchiestufen sowie betriebsnahe Kinderbetreuungsplätze mit genügend langen Öffnungszeiten geschaffen werden.
Weniger Bürokratie: Die administrative Belastung der Ärzte habe sowohl im Spital als auch in der Praxis allzu sehr zugenommen. Könnte dieser Aufwand gesenkt werden, so geriete die Zeit mit dem Patienten und damit auch die sinnstiftenden Arbeitsinhalte wieder stärker im Mittelpunkt – ein Gewinn für die Attraktivität des Arztberufs.
Sensibilisierung: Bereits die angehenden Ärzte müssten in der Ausbildung auf die verschiedenen Herausforderungen des Arztberufs vorbereitet werden. Dieser Thematik ist auch in der Weiter- und Fortbildung weiterzuführen.
Wohin zieht es sie? In diesen Branchen arbeiten die Ärzte, die nicht mehr kurativ tätig sind.
Allerdings: Da zeichnen sich auch konkurrierende Interessen ab. Die neue Studie zeigt nämlich auch, dass ein sehr überwiegender Teil der Aussteiger in Berufen und Branchen arbeitet, wo ihre medizinische Ausbildung von Nutzen, von grossem Wert oder schlicht notwendig ist.
Die grösste Gruppe der nicht mehr kurativ Tätigen (konkret: 25 Prozent) arbeitet weiterhin in einem Spital oder einer anderen Institution der Gesundheitsversorgung. Ebenfalls recht häufig ist eine Arbeit in der Wissenschaft (18 Prozent), im Bildungsbereich oder bei der Gesundheitsförderung und Prävention (je 17 Prozent).
Ein Drittel überhaupt nicht mehr berufstätig
Oder anders betrachtet: Ein Viertel der Aussteiger arbeitet in einem Beruf, der laut eigenen Aussagen mindestens ein abgeschlossenes Medizinstudium voraussetzt; etwas mehr als ein Drittel bezeichnet die ärztliche Qualifikation im neuen Beruf als nützlich.
Aber ein schmerzhafter Anteil bleibt: Ein Drittel jener, die nicht mehr kurativ tätig sind, ist überhaupt nicht mehr berufstätig (hier ist der Frauenanteil erwartungsgemäss höher). Und jede zehnte befragte Person ist inzwischen in einem Beruf tätig, wo ihr die ärztliche Qualifikation nichts bringt.