Ist die Kostensteigerung im Gesundheitswesen wirklich ein Problem? Andreas Tobler sieht die Sache offenbar mit einer gewissen Gelassenheit. Denn die entscheidende Frage sei doch: Was erhält der Patient heute für sein Geld mehr als früher? «Solange der medizinische Nutzen in einem guten Verhältnis zu den Kosten steht, ist dies meiner Meinung nach vertretbar.»
So formuliert es der ehemalige ärztliche Direktor der Insel-Gruppe
in der «Berner Zeitung»; dort blickt Tobler wenige Tage nach seiner Emeritierung in einem grossen Interview zurück. «Vor zehn Jahren etwa wäre eine 75-jährige Patientin mit einem schweren Hirnschlag auf lange Zeit pflegebedürftig geworden. Heute ist es dank neuer Methoden möglich, dass sie wieder nach Hause geht und selbstständig leben kann. Volkswirtschaftlich gesehen ist diese Entwicklung positiv.»
«Alle medizinischen Gebiete kritisch hinterfragen»
Problematisch werde es, wenn die Kosten steigen und kaum ein Mehrwert entsteht. In der Onkologie könne man sich zu Recht fragen, ob es sinnvoll ist, ein Leben mit sehr teuren Medikamenten um drei bis vier Monate zu verlängern. «Hier müssen sich alle medizinischen Gebiete ständig kritisch hinterfragen. Ist eine Intervention wirklich nötig, und bringt sie etwas?»
Als wirklich effizienten Hebel zur Senkung der Tarifkosten sichtet Tobler das Tarifwesen. Das würde er «radikal umkrempeln» – wenn er denn entscheiden könnte. Denn die heutigen Systeme setzten den Anreiz für Selbstoptimierung der Leistungserbringer und Mengenausweitung. Besser wäre es, zugespitzt ausgedrückt, wenn die Spitäler für jeden Patienten belohnt würden, der nicht ins Spital kommen musste, da er ambulant behandelt wird. Oder noch besser: weil eine Behandlung vermieden werden konnte.
Gut für die Patientin, gut für die Volkswirtschaft
Der Mediziner illustriert seine Idee mit einer Patientin, die wegen Asthmaanfällen immer wieder ins Spital muss: «Je häufiger sie behandelt wird, desto mehr läuft heute das „Geschäft“, und das kostet. Wenn aber die Anreize andersrum wären, dann würde das Spital jemanden zur Patientin nach Hause schicken. Dort würde man sehen, dass die Wohnung schimmlig und Ursache für die Anfälle ist. Diese würde saniert, die Patientin würde weniger Atemnotattacken erleiden und somit auch weniger ins Spital kommen.»
Eine Lösung, die sowohl für die Patientin als auch für die Volkswirtschaft besser wäre. Wobei Andreas Tobler eingestehen muss, dass diese Umkrempelung wohl ein Wunsch bleiben dürfte.
Die paradoxe Kritik an der Berner Spitalfusion
Im BZ-Interview wird Andreas Tobler natürlich auch zur Berner Spitalfusion befragt – insbesondere zum Problem, dass das universitäre Inselspital entgegen den Plänen heute mehr einfache Fälle behandelt. Mit teuren Folgen für die Prämienzahler.
«Diese Kritik ist eigentlich paradox», kontert Tobler. «Immer wieder war und ist im Raum Bern die Rede von Überkapazitäten. Als einziges Spital auf dem Platz Bern waren wir konsequent und haben mit der Schliessung des Zieglerspitals Kapazitäten abgebaut.»
Fusion für die Taxiunternehmen?
Dass nun die Patienten aus dem Raum Köniz in den Lindenhof oder ins Inselspital gehen, sei nicht überraschend.
Das Modell sah aber vor, dass «die Insel» Patienten ans Tiefenauspital weiterleitet. «Klar könnte man das machen», so die Einschätzung von Andreas Tobler. «Aber wenn am Schluss die Fusion dazu führt, dass nur ein Taxiunternehmen profitiert, dann haben wir etwas falsch gemacht. Man muss sich auch in die Lage des Patienten versetzen. Dieser versteht eine Verlegung nur, wenn wir ihn vor Ort nicht weiterbehandeln können. Sagen wir ihm aber, er müsse verlegt werden, weil er nicht ins Schema passe, dann versteht er das nicht.»