Krankenversicherer geraten wegen Krebsmedikamenten massiv unter Druck

Ein jüngst publik gewordener Fall zeigt eine bedenkliche Entwicklung: Krankenkassen entscheiden mit, welche Krebspatienten überleben dürfen.

, 7. August 2019 um 12:58
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Der Artikel in der «Sonntagszeitung» war die denkbar schlechteste Reklame für die Krankenkasse Atupri: Ein Patient, der an Lymphdrüsenkrebs litt, setzte seine letzte Hoffnung in eine teure Krebsbehandlung, eine so genannte Car-T-Zelltherapie. 
Doch Atupri hat ihrem Versicherten laut dem Bericht die Übernahme der Kosten verweigert. Als der Patient fünf Monate später trotzdem behandelt wurde, sei es zu spät gewesen, schrieb die Zeitung. Er starb. 

Weniger als die Hälfte profitieren von der Therapie 

Es ist überhaupt nicht sicher, ob der Patient noch leben würde, wenn er die Car-T-Zelltherapie früher hätte beginnen können. Längst nicht alle Patienten sprechen nämlich auf die Therapie an. Studien gehen derzeit von Erfolgschancen unter 50 Prozent aus.
Atupri-Sprecherin Neda Golafchan erklärte zudem auf die Nachfrage von Medinside, dass die Zeitung die Zusammenhänge falsch geschildert habe.

Jede Krankenkasse beurteilt die Gesuche selber

Trotzdem zeigt der Fall deutlich, dass die Krankenkassen wegen den neuen teuren Krebsbehandlungen und -medikamenten immer stärker unter Druck kommen. Diese Behandlungen sind in der Regel nicht oder noch nicht kassenpflichtig.
Ein Arzt, der einen Patienten behandeln will, muss deshalb bei der Krankenkasse ein Gesuch für die Kostenübernahmen stellen. Dann beurteilt jede Krankenkasse selber, ob der erwartete Nutzen in einem angemessenen Verhältnis zu den Kosten und den Risiken der Behandlung steht.

Krankenkasse gibt keine Einzelheiten preis

So war es auch im Fall des gestorbenen Krebs-Patienten: Die Vertrauensärzte von Atupri hatten die Kostenübernahme geprüft und dann eine Empfehlung abgegeben. Weitere Einzelheiten dazu, warum sie das Gesuch abgelehnt hatten, will Atupri nicht bekanntgeben.
Die Kasse kann auch nicht sagen, ob und wie oft sie bisher die Kosten von Krebsbehandlungen ausserhalb der Zulassung übernommen hat. Dazu führe Atupri keine Statistik, sagte die Sprecherin.

Sind grössere Kassen kulanter beim Bezahlen?

Thomas Cerny, Präsident der Krebsforschung Schweiz, hat allerdings laut einem Bericht in der «Berner Zeitung» eine höchst beunruhigende Feststellung gemacht: Insbesondere kleine Kassen würden solche Gesuche langsamer beurteilen und eher ablehnen. Grössere Kassen könnten hingegen schneller reagieren und seien kulanter.
Cerny hat sogar die Erfahrung gemacht, dass Gesuche in der Westschweiz und im Tessin eher bewilligt werden, als in der Deutschschweiz. Ob eine Krebstherapie bezahlt wird oder nicht, hängt also nicht nur von deren Erfolgsaussichten ab. Sondern durchaus auch von der Krankenkasse und vom Wohnort.

Krebsliga fordert eine einheitliche Vergütung

Eine Entwicklung, die Thomas Cerny besorgt: «Bis vor zehn Jahren konnten wir unseren Patientinnen und Patienten alle sinnvollen Therapien noch zur Verfügung stellen», sagt er. «Heute hat sich die Situation deutlich verschlechtert – auch weil die Preisexplosion bei den Medikamenten rational nicht mehr nachzuvollziehen ist.»
Es dürfe nicht sein, dass es von der Krankenkasse abhängt, ob ein Medikament ausserhalb der Zulassung verwendet werden könne oder nicht, kritisiert auch die Krebsliga Schweiz. Sie verlangt, dass überlebenswichtige Behandlungen einheitlich vergütet werden.

Kommen knausrige Kassen bald an den Pranger?

Laut der «Berner Zeitung» überlegt sich die Krebsliga sogar, künftig die Namen von Krankenkassen zu veröffentlichen, wenn sie Medikamente und Behandlungen nicht bezahlen wollen, die andere Kassen übernehmen.
Ob eine solche Drohung den Druck erhöhe, Behandlungen eher zu bewilligen, beantwortete Atupri nicht: Die Vertrauensärzte würden auch künftig für jeden Einzelfall eine Empfehlung abgeben, sagte die Sprecherin lediglich.

Nationale Stelle soll einheitlich entscheiden

Genau das wollen Krebsfachleute aber verhindern. Damit das Überleben bei Krebs letztlich nicht davon abhängt, ob ein Patient zufällig eine kulante Krankenkasse oder den richtigen Wohnort gewählt hat, schlägt Thomas Cerny eine nationale Stelle von Fachleuten vor. Diese Stelle soll künftig anstelle der Krankenkassen nach einheitlichen Kriterien entscheiden, ob Patienten eine Behandlung erhalten, die nicht kassenpflichtig ist.

So funktionieren die teuren Car-T-Zelltherapien

Eine Car-T-Zelltherapie gegen bestimmte Krebsarten kostet 300 000 bis 400 000 Franken. Das Prinzip dieser Therapien ist einfach: Die Immunzellen der Patienten werden gentechnisch so verändert, dass sie für den Kampf gegen die Tumorzellen gerüstet sind.
Erst im Detail wird es komplizierter: Eine bestimmte Klasse von Immunzellen, so genannte T-Zellen, werden mit einem zusätzlichen, gentechnisch hergestellten Rezeptor ausgestattet. Der Rezeptor ist ein Mischwesen, eine so genannte Chimäre.
Er besteht einerseits aus einem Teil im Zellinneren, das den Stoffwechsel der Zelle ankurbeln und sie in Alarmbereitschaft versetzen kann. Und andererseits aus einem Teil, das aus der Immunzelle herausragt und auf Moleküle reagiert, die nur auf der Oberfläche von Tumorzellen, jedoch nicht auf gesunden Zellen liegen.
Mit diesem chimären Antigen-Rezeptor – kurz: CAR – sind die Immunzellen weitaus wirksamer als vorher. Denn dank des CAR wissen die Zellen genau, gegen wen sie sich richten müssen. Allerdings lassen sich längst nicht bei allen Patienten die Zellen auf diese Weise aufrüsten. Die Wissenschafter gehen derzeit von einer Erfolgsrate unter 50 Prozent aus.
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