Ältere Patientinnen und Patienten leiden häuft an Mehrfach-Erkrankungen. Damit verbunden sind eine hohe Anzahl verschriebener Medikamente. Die Folge können Über- und Fehlmedikationen sowie zusätzliche Spitaleinweisungen sein. In vielen Fällen kann die Medikation optimiert werden, indem Arzneimittel abgesetzt, in der Anwendungsdauer verkürzt oder in geringeren Dosen angewandt werden.
In der «Operam»-Studie der Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin des Inselspitals, Universitätsspital Bern wurde nun untersucht, ob überflüssige oder möglicherweise schädigende Medikamente bei älteren, mehrfach erkrankten Menschen ohne negative Auswirkung auf den Gesundheitszustand weggelassen oder reduziert werden können und ob eine solche verbesserte Medikation zu einer Verringerung von Spitaleinweisungen führt.
Verringerung der Medikamente möglich
Das wichtigste Ergebnis der «Operam»-Studie ist, dass die Anzahl und Dauer der angewandten Medikamente bei mehrfach erkrankten Spitalpatienten erfolgreich vermindert werden können, ohne dass sich deren Gesundheitszustand verschlechtert.
Eine statistisch signifikante Verringerung von Spitaleinweisungen aufgrund der angepassten Medikation konnte allerdings nicht gezeigt werden. Im Rahmen der Studie wurde eine Software als Unterstützung zum Erkennen falscher oder übermässiger Medikamentenverordnungen von Teams aus Ärztinnen und Ärzten sowie Pharmazeutinnen und Pharmazeuten angewendet.
86 Prozent der Patienten betroffen
Diese Teams machten Empfehlungen zur Optimierung der Medikamentenbehandlung. Bei 86 Prozent der untersuchten Patientinnen und Patienten wurden überflüssige und potentiell schädigende Medikamente gefunden. Manuel R. Blum, Erstautor der Studie, erklärt: «Es wurden im Durchschnitt Empfehlungen zu 2,75 ungeeigneten Medikamenten pro Patientin/Patient ausgesprochen, wobei diese in etwa zwei Dritteln der Fälle umgesetzt wurden.»
Der Gesamtleiter der Studie, Professor Nicolas Rodondi, ordnet die Resultate so ein: «Zum ersten Mal konnten wir in einer multizentrischen, randomisierten Studie zeigen, dass die Polypharmazie bei multimorbiden Patientinnen und Patienten erfolgreich vermindert werden kann, ohne dass eine Verschlechterung des Gesundheitszustands befürchtet werden muss.» Leider seien nicht alle Empfehlungen umgesetzt worden. «Wir gehen davon aus, dass eine intensivere Beratung sowie eine bessere Einhaltung der Medikationsempfehlungen schlussendlich auch eine Reduktion der Spitaleinweisungen bewirken könnte.»
Die grösste europäische Studie zur Medikation mehrfach Erkrankter
Das Europäische Forschungskonsortium «Operam» war eine randomisierte, multizentrische, klinische Studie im Rahmen des Europäischen Forschungsprogramms «Horizon 2020» finanzierte Studie mit insgesamt neun Partnern. Die Gesamtleitung hatte die Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin des Inselspitals Universitätsspital Bern inne. Die Ergebnisse wurden heute im British Medical Journal publiziert.
Eingeschlossen wurden gut 2000 Personen über 70 Jahre, die mindestens drei chronische Erkrankungen aufwiesen und regelmässig fünf oder mehr Medikamente einnahmen. Die Studienpatientinnen und –patienten wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei etwa gleichgrosse Gruppen mit und ohne Medikamentenoptimierung eingeteilt.
In der Gruppe mit Optimierung konnte die medikamentöse Behandlung bei 62 Prozent der Patientinnen und Patienten verbessert werden. Im Durchschnitt wurde ein Medikament pro Patient reduziert, ohne dass sich der Gesundheitszustand verschlechterte.