Über Sinn und Unsinn des weissen Kittels

Ist der klassische Mediziner-Look nötig? Oder ist er vielleicht sogar unhygienisch? Immerhin entspricht den Erwartungen der Patienten. Oder doch nicht? Dies überprüft nun eine internationale Studie – auch in der Schweiz.

, 18. September 2015 um 08:00
image
  • ärzte
  • praxis
Warum sehen Mediziner eigentlich aus, wie sie aussehen? So en passant wird die Frage immer wieder mal gestellt, aber genau genommen stellt sie sich doch nicht: Der weisse Mantel ist eine Selbstverständlichkeit. Zumindest bislang.
Allerdings kommt im englischen Sprachraum mehr und mehr die Frage auf, ob das traditionelle Kleidungsstück noch zeitgemäss ist. Ein Kritikpunkt ist, dass es unterm hygienischen Gesichtspunkt problematisch sein könnte. Ein kleiner Test an US-Spitälern ergab zum Beispiel vor einigen Jahren, dass ein Drittel der Kittel mit Staphylokokken versetzt waren.

Amy M. Treakle, Kerri A. Thom, Jon P. Furuno et. al.: «Bacterial contamination of health care workers' white coats», in: «American Journal of Infection Control», März 2009.

Denn der weisse Mantel, schon farblich ein Ausdruck der Reinheit, wird gerade wegen seiner Einmaligkeit seltener gewechselt als – beispielsweise – das normale Bürohemd.
Kurz: Weder aus praktischen noch aus hygienischen Überlegungen macht es Sinn, das Ärzte in einem weissen (oder mittlerweile auch hellgrünen oder hellblauen) Kittel durchs Spital laufen.

Es ist wohl auch eine Generationen-Frage

Es sei denn, man erachte den Aspekt, dass jemand stets sogleich als Mediziner erkannt und eingeordnet wird, als bedeutsames Kriterium.
Und das ist die Frage: Was wollen und brauchen die Patienten? Dies soll jetzt eine grosse internationale Erhebung herausfinden, die von zwei Medizinprofessoren der University of Michigan durchgeführt wird, Vineet Chopra und Sanjay Saint. Befragt werden dabei tausende Patienten in vier Ländern – USA, Italien, Japan und der Schweiz.
Dabei wollen die Wissenschaftler, so ihre Ankündigung, darauf achten, ob sich Generationen-Unterschiede zeigen und in welchen Situationen welcher Look wie ankommt.
Jüngst schon brachte eine Auswertung diverser Umfragen in mehreren Ländern ans Licht, dass ein erheblicher Teil der Patienten es vorzieht, wenn der Herr oder die Frau Doktor formell korrekt angezogen ist; in Europa (und unter älteren Patienten) war dies besonders ausgeprägt. In 18 der 21 ausgewerteten Erhebungen äusserten die Patienten eine Vorliebe für Ärzte in Weiss.

Christopher Michael Petrilli, Megan Mack, Jennifer Janowitz Petrilli et al.: «Understanding the role of physician attire on patient perceptions: a systematic review of the literature», in: «BMJ Open», Januar 2015.

Allerdings: Es kam, wie immer, auch drauf an. Ging es um eine Behandlung im Spital, so wurde der OP-Kittel eher als Zeichen der Professionalität gewertet; ging es um ein Treffen in einem Büro und um ambulante Behandlungen, so beurteilten die befragten Patienten den weissen Mantel eher negativ.
Die Idee des weissen Kittels, aufgekommen im Deutschland des 19. Jahrhunderts, spiegelte übrigens nicht primär Hygienevorstellungen – sondern es ging eher darum, dass sich die damaligen Ärzte stärker in der Tradition von Naturwissenschaftlern stellen wollten. Von jenen Leuten also, die im weissen Mantel in den damals noch sehr neuartigen Labors arbeiteten. Der schwarze Anzug gehörte aber noch lange zum offiziellen Look des Arztes.
Mehr / siehe auch:
Philip Lederer, Harvard Medical School: « It’s time for doctors to hang up the white coats for good», in: «The Conversation», September 2015.
  • Bild: Lab Coat & Scrups, Wikimedia Commons

Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Medbase expandiert in der Westschweiz

In Bulle plant die Praxis-Gruppe ein neues medizinisches Zentrum.

image
Gastbeitrag von Esther Wiesendanger

Da sind steigende Gesundheitskosten ja nur logisch

Getrennte Apotheken in Gruppenpraxen, Impfverbote in der Pflege, teure Zusatzkontrollen: Groteske Behörden- und Kassenentscheide lähmen die Versorgung. Sind wir Ärzte eigentlich Komiker?

image

Pallas Kliniken streichen 20 Stellen

Das Familienunternehmen will sich am Hauptsitz in Olten auf weniger Fachbereiche fokussieren.

image

Forschung und Praxis: Synergien für die Zukunft

Dr. Patrascu erklärt im Interview die Verbindung von Forschung und Praxis an der UFL. Er beschreibt die Vorteile des berufsbegleitenden Doktoratsprogramms in Medizinischen Wissenschaften und zeigt, wie die UFL durch praxisnahe Forschung und individuelle Betreuung Karrierechancen fördert.

image

Münchner Arzt vor Gericht wegen Sex während Darmspiegelung

Ein Arzt soll während Koloskopien 19 Patientinnen sexuell missbraucht haben. Er sagt, die Vorwürfe seien erfunden und eine Intrige.

image

Pflege- und Ärztemangel: Rekordwerte bei offenen Stellen

Die Gesundheitsbranche bleibt führend bei der Suche nach Fachkräften. Laut dem neuen Jobradar steigen die Vakanzen in mehreren Berufen wieder – entgegen dem allgemeinen Trend auf dem Arbeitsmarkt.

Vom gleichen Autor

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.