Nirgends ist der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männer so gross wie im Gesundheitswesen. Zu diesem Schluss kam 2017 eine Studie im Auftrag des Bundes. Mit einem schwindelerregend hohen Unterschied von 29,6 Prozent war die Kategorie «Akademische und verwandte Gesundheitsberufe» Spitzenreiterin. Sprich die Frauen verdienten fast einen Drittel weniger als ihre Kollegen. Und dies, obschon in diesem Bereich über 70 Prozent der Angestellten weiblich ist.
Wie streiken Sie? Welche Streikaktionen gibt es an Ihrem Spital? Schreiben Sie uns - oder schicken Sie uns Ihre Fotos an info@medinside.ch Wenn am Freitag der Frauenstreik ausgerufen wird, haben also auch Gesundheitsangestellte Grund, zu streiken. Doch ist der Frauenstreik rechtlich gesehen überhaupt ein Streik, den die Arbeitgeber erlauben müssen? Eine klare Meinung dazu hat Martin Wyss von der Geschwerkschaft VPOD Zentralschweiz: «Das Streikrecht ist in der Bundesverfassung garantiert, weshalb bei den Spitälern grundsätzlich keine Erlaubnis eingeholt werden muss.» Unlängst habe das Bundesgericht dies im Fall der Freiburger Spitäler bestätigt. In einem Spitalstreik müssten lediglich unabdingbare Gesundheitsleistungen garantiert werden, so Wyss. «Ob also die Spitäler eine Streikteilnahme erlauben oder nicht, ist irrelevant, da das Streikrecht auf höchster nationaler Ebene und sogar international abgesichert ist.»
Das Bundesgericht stünde wohl auf der Seite der Spitäler
Eine differenzierte Meinung hat der renommierte Basler Arbeitsrechtsprofessor Kurt Pärli. Auf Anfrage von Medinside schreibt er, dass ein Streik unter folgenden Bedingungen rechtlich zulässig sei:
- Der Streik muss von einer Arbeitnehmerorganisation getragen werden, die mit der Arbeitgeberseite Verhandlungen über Arbeitsbedingungen führen kann.
- Der Streik muss durch einen Gesamtarbeitsvertrag regelbare Ziele verfolgen, also beispielsweise höhere Löhne oder ein früheres Pensionierungsalter.
- Der Streik darf nicht gegen eine bestehende (etwa im Gesamtarbeitsvertrag verankerte) Friedenspflicht verstossen. Dann verpflichtet der Gesamtarbeitsvertrag, das Streiken zu unterlassen.
- Der Streik muss verhältnismässig sein
Unter diesen Bedingungen darf eine Arbeitgeberin keine Sanktionen gegen Streikende ergreifen, so Pärli weiter. «Eine Lohnzahlungspflicht der Arbeitgeberin besteht aber nicht, denn während des rechtmässigen Streiks ruht die Arbeitspflicht, gleichzeitig besteht aber auch keine Lohnzahlungspflicht. Die Arbeitgeberin darf aber gegen Personen, die rechtmässig streiken, nicht mit Disziplinarmassnahmen oder Kündigungen vorgehen.»
Erfüllt der Frauenstreik diese Bedingungen?
Pärli schreibt dazu folgendes: «Ob der Frauenstreik rechtmässig ist, ist umstritten. Es geht zwar durchaus um gewerkschaftliche Forderungen (Lohn), jedoch hat der Streik auch eine mehr allgemeine politische Dimension. Und gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist ein politischer Streik kein rechtmässiger Streik. Allerdings darf nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ein Staat auch Teilnehmende an politischen Streiks nicht sanktionieren, sofern mit den Sanktionen die Gewerkschaftsrechte untergraben werden.
Angesichts der in der Schweiz noch bestehenden Lohndiskrepanz zwischen Frauen und Männern und der breit abgestützten Bewegung für den Streik sollte meines Erachtens eine Teilnahme am Frauenstreik als rechtmässige Handlung angesehen werden. Die gerichtliche Beurteilung durch das Bundesgericht dürfte aber eher anders ausfallen. Kluge und weitsichtige Arbeitgeber nehmen den Frauenstreik aber zum Anlass, ihre eigene Lohnpolitik hinsichtlich Frauen- und Männerlöhne zu überprüfen und mit den Streikwilligen das Gespräch zu suchen.»
Fazit: Pärli erkennt im Frauenstreik einen legitimen und rechtlich abgestützten Streik - streikendes Personal muss aber dennoch damit rechnen, vor Gericht eine Niederlage zu kassieren. Zu einem Rechtsstreit könnte es etwa dann kommen, wenn ein Spital seinem Personal nicht ermöglicht oder erlaubt, an Streikveranstaltungen teilzunehmen, dieses dies aber trotzdem tut.
Wie verhalten sich die Spitäler
Droht ein solches Szenario in der Praxis tatsächlich? Medinside hat bei ausgewählten Spitälern nachgefragt.
Das Unispital Zürich schreibt folgendes: «Es ist unseren Mitarbeiterinnen überlassen, ob sie sich an dieser Aktion beteiligen möchten oder nicht. Für das USZ steht im Vordergrund, dass die medizinische Versorgung der Patientinnen und Patienten jederzeit sichergestellt ist. Das wird der Fall sein, wobei wir im Hinblick auf die Dauer von einigen Stunden pragmatisch vorgehen. Mitarbeiterinnen des Universitätsspitals Zürich, die am Freitag am Frauenstreik teilnehmen, haben mit keinerlei personalrechtlichen Konsequenzen zu rechnen.» Man setze sich zudem aktiv für die Gleichberechtigung ein.
Bezüglich des Streiks tönt es auch vom Unispital Basel ähnlich: «Die Teilnahme am Frauenstreik 2019 hat ausserhalb der Arbeitszeit zu erfolgen und die Hausordnung muss eingehalten werden. Möchten sich Mitarbeiterinnen an Frauenstreik-Aktionen beteiligen, muss dies mit den jeweiligen Vorgesetzten frühzeitig abgesprochen werden. Die Vorgesetzten sollen den Mitarbeiterinnen – soweit betrieblich möglich - die Teilnahme ermöglichen und die Einsatzplanung entsprechend anpassen.»
Das gleiche gilt auch für das Kantonsspital St. Gallen und die Insel-Gruppe.
Im Kantonsspital Baden «dürfen Mitarbeitende am 14. Juni am Frauenstreik teilnehmen, allerdings in ihrer Freizeit. Absenzen müssen bei den Dienstplanungen frühzeitig beantragt werden, damit ein reibungsloser Spitalbetrieb gewährleistet werden kann. Die Ausfallzeit für die Teilnahme an der Arbeitsniederlegung müssen die Mitarbeitenden entweder mittels Überstunden oder durch den Bezug von Ferien kompensieren.» Man ist zudem überzeugt, dass man «diverse Forderungen» der Streikorganisatorinnen bereits erfüllt hat.
Die selbe Regelung gilt auch am Luzerner Kantonsspital. Man nehme zudem seine Verantwortung wahr und richtet seine Anstellungsbedingungen konsequent darauf aus, ein fairer, zuverlässiger und attraktiver Arbeitgeber zu sein. Man sei sogar für das faire Lohnsystem ausgezeichnet worden.
Auch im Kantonsspital Aarau «werden Mitarbeitende nach Möglichkeit für eine Teilnahme an diesem Tag frei geplant. Streikinteressierte haben sich hierfür mit Ihrem Wunsch (ganzer oder halber Tag) frühzeitig bei Ihren Vorgesetzten oder Dienstplaner gemeldet.»
Auch die beiden Privatspitalgruppen Hirslanden und Lindenhof legen ihren Mitarbeitenden keine Steine in den Weg. Wer am Streik teilnehme, müsse «mit keinerlei personalrechtlichen Konsequenzen rechnen», schreibt die Hirslanden-Gruppe. Und bei der Lindenhofgruppe ist man bestrebt, allen, die möchten, die Teilnahme am nachmittäglichen Berner Streikumzug zu ermöglichen.
Im Psychiatriezentrum Münsingen kann das Personal sogar während 1,5 bezahlten Arbeitsstunden protestieren.
In vielen Spitälern wurden zudem vom Personal initiierten Streikstände und Aktionen bewilligt.
Mitarbeitende haben Patientenwohl im Sicht
Die befragten Spitäler, in denen die Frauen teilweise über vier Fünftel der Belegschaft ausmachen, wollen den Streik also nicht unterbinden. Gleichzeitig betonen alle, dass der Spitalbetrieb stets gewährleistet sein muss. Dass finden auch die Gewerkschaften und die Mitarbeitenden, wie Rückmeldungen zeigen. Die Berner Gewerschaftssekretärin Meret Schindler ist aber zuversichtlich, dass die meisten an einer Aktion teilnehmen können. Sie hofft auf die Solidarität der männlichen Arbeitskräfte, die Dienste übernehmen sollen. Dennoch konstatiert
Medinside-Redaktorin Esther Diener, dass nur ein Streik light herauskommen dürfte.
Die Spitäler tun trotzdem gut daran, die Zeichen zu erkennen und echte Veränderungen zu bewirken.
Denn wie Zahlen und Befragungen zeigen, gibt es vielerorts noch viel zu tun. So gibt es nicht nur grosse Lohnunterschiede, Frauen sind auch in Führungsgremien und -positionen immer noch untervertreten. Auch sind die Arbeitsbedingungen für das - weibliche und männliche - Personal noch immer häufig nicht genügend mit dem Familienleben kompatibel, wie Befragungen zeigen.
Das ist schlecht für die Mitarbeitenden - und für die Spitäler, die ohne Anpassungen noch stärker Mühe haben werden, genügend gut ausgebildetes Personal zu finden.