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«Weltwoche» des SVP-Nationalrats Roger Köppel startete eine regelrechte Kampagne gegen SP-Bundesrat Alain Berset. Sie bezichtigte ihn, das Schweizer Volk angelogen zu haben, indem er sagte, die Impfung schütze vor Ansteckungen. Mit dem Kampfbegriff «Impf-Lüge» zeigte sie auf dem Cover der letzten Ausgabe den Sozialminister mit der langen Nase des Pinocchio.
Beda M. Stadler, der ehemalige Direktor des Instituts für Immunologie der Universität Bern, hat selber das Bundesamt für Gesundheit und auch Bundesrat Alain Berset wiederholt kritisiert. Dennoch sah er sich dazu veranlasst, in der aktuellen Weltwoche zur «Impf-Lüge» Stellung zu nehmen. «Ich tue es sozusagen als immunologischer Kindergärtner», schreibt er.
Falscher Eindruck
Was man dem BAG und dem Bunderat antue, sei ziemlich grob, meint der Molekularbiologe. Doch vor allem stört ihn, «dass offensichtlich für viele Schweizer der Eindruck entstanden ist, eine chirurgische Maske tauge etwa gleich viel wie eine Impfung.»
Doch der Begriff der «Impf-Lüge» konnte laut Stadler nur deshalb hervorgezaubert werden «weil man nicht verstanden hat, was eine Impfung eigentlich bewirkt.»
Also doziert der emerierte Professor, was eigentlich Allgemeingut sein müsste, aber im Zeitalter des zugespitzten Journalismus zu vergessen schien:
- Es gibt in der Biologie und erst recht in der Immunologie keine 100 Prozent. Ergo gibt es auch keine Impfung, die zu 100 Prozent schützt.
- Bei jeder Impfung gibt es Non-Responders. Das ist normal und hat immunologische Gründe.
- Ist jemand immun und wird trotzdem angesteckt, bekämpft er den Eindringling mit seinem Immunsystem. Dauert der Zweikampf eine Weile, hat man schwache Symptome; war die Immunität nicht genügend, hat man etwas stärkere Symptome, aber immer noch nicht so heftig, wie wenn man nicht geimpft gewesen wäre. Das ist bei allen Impfungen so.
- Es gibt eine ganze Reihe von Krankheiten, die das Immunsystem schwächen und somit ein relativ harmloses Virus zu einem gefährlichen machen können.
- Bei einer Ansteckung, bei welcher der Eindringling an der Oberfläche bekämpft wird, kann der Keim während der Anfangsphase noch weitergegeben werden. Das verhält sich zum Beispiel so bei Viren, die sich in den oberen Atemwegen vermehren, etwa bei Coronaviren. Das bedeutet eben nicht, dass die Impfung nicht funktioniert hat.
- Die Immunantwort gegen das Coronavirus ist noch derart wenig verstanden, dass es bis heute keinen Test gibt, der mit Sicherheit vorhersagt, ob man geschützt ist.
- Von den über fünfzig sehr wirksamen Impfstoffen gegen verschiedenste Pathogene, die bislang entwickelt wurden, haben alle auch Nebenwirkungen. Jedes Medikament, das wirkt, hat Nebenwirkungen. Bei allen Impfstoffen sind diese aber harmlos im Vergleich zu den Auswirkungen der Krankheit. Das ist auch bei den Covid-Impfungen so.
Stadler wäre nicht Stadler, würde er seinen Gastbeitrag nicht mit einem originellen Schluss beenden: «Für einmal bin ich nun dem Bundesrat und dem BAG nicht an den Karren gefahren. Jetzt gehe ich mich impfen, ärgere mich über die Persiflagen von Alain Berset als Pinocchio, freue mich aber darüber, dass er nicht zu einem Lauterbach wurde.»