Vertragszwang: Mehr Wettbewerb – oder nur mehr Bürokratie?

Nun will auch die Gesundheitskommission des Nationalrats den Vertragszwang für Krankenkassen begrenzen, um Überversorgung und Kosten einzudämmen. Die Spitäler warnen.

, 19. Januar 2025 um 23:34
image
Zweiter Zwischenerfolg: Motionär Peter Hegglin (Mitte / ZG)  |  Bild: Screenshot Interview Forum Finanzmonitor Zentralschweiz
Eine einschneidende Reform im Gesundheitswesen wird konkreter: Der Vertragszwang steht auf der Kippe. Die Gesundheitskommission des Nationalrats sprach sich am Freitag dafür aus, ihn teilweise aufzuheben – «sofern insbesondere die Versorgungssicherheit gewährleistet ist und die Anforderungen an Qualität und Wirtschaftlichkeit eingehalten werden».
Zuvor hatte sich schon der Ständerat hinter das Anliegen gestellt: Die Sache wird also sehr realistisch.
«Die Kommission glaubt, durch die Stärkung des Leistungswettbewerbs dem Anstieg des Leistungsvolumens und der Kosten zulasten der OKP entgegenzuwirken», heisst es in der Mitteilung aus Bern.
Der Vertragszwang verpflichtet die Krankenkassen, mit allen zugelassenen Leistungserbringern eines Kantons einen Vertrag abzuschliessen. Dies wiederum ermöglicht den Patienten die freie Arzt- und Spitalwahl; denn die Krankenkassen können die Wahl nicht einschränken, indem sie bestimmte Spitäler, Kliniken oder Praxen ausschliessen.

«Griffiges Instrument»

Das aber soll nun ermöglicht werden. Die Idee dabei: In Gebieten, wo Überversorgung herrscht, können die Kassen eingreifen, indem sie einzelne Häuser oder Praxen ausschliessen. Oder sie können gewisse Anbieter aus qualitativen Gründen entfernen.
Mit anderen Worten: Der Ständerat – und nun die Nationalratskommission – erhoffen sich so mehr Wettbewerb.
«Die Lockerung des Vertragszwangs ist als griffiges Instrument gegen die Mengen- und Kostenexplosion zu prüfen», argumentierte Ständerat Peter Hegglin (Mitte, ZG), der die Motion vor zwei Jahren einreichte. Konkret würde der Vertragszwang jeweils dort gelockert, wo laut BAG-Daten eine Überversorgung besteht. «Letztlich würden dadurch wettbewerbliche Anreize gestärkt, dort zu praktizieren, wo die Versorgung die Höchstzahlen nicht überschreitet», meinte Hegglin.

Mehr Macht für die Kassen

Der Spitalverband H+ meldete am Freitag umgehend Widerspruch an. Eine Lockerung des Vertragszwangs «würde nicht nur zu einer massiven Bürokratisierung und Kostensteigerung im Gesundheitswesen führen, sondern auch die Versorgungssicherheit und die freie Wahl der Leistungserbringer durch die Patient:innen gefährden», so das Statement. «Zudem würde so der Einfluss der Krankenversicherer auf die Steuerung der Gesundheitsversorgung bedrohlich zunehmen.»
Ohnehin habe man mit der Zulassungssteuerung jüngst eine effektive Regulierung eingeführt, die nun von den Kantonen umgesetzt wird. Es sei unnötig, gerade jetzt eine zusätzliche Regulierung zu schaffen «und mit weiteren Eingriffen die bestehenden Strukturen zu destabilisieren», so Hplus.
Und weiter: «Im schweizerischen System sind die Kantone für die Spitalplanung zuständig. Wenn nun die Krankenversicherer jeweils selbst festlegen, mit welchen Spitälern und Kliniken sie zusammenarbeiten wollen, wird eine parallele Planung durch die Krankenversicherer geschaffen. Dies würde deren Einfluss erheblich ausweiten und die Gefahr einer Risikoselektion durch Versicherer verstärken.»
Schliesslich entstünde dadurch die reale Gefahr, dass Verträge vor allem mit günstigen Leistungserbringern abgeschlossen werden, ohne dabei die Qualität der Versorgung zu berücksichtigen.
Der Ständerat hatte den Vorstoss von Peter Hegglin im September 2024 mit 30 zu 12 Stimmen angenommen – also relativ deutlich.
Artikel teilen
  • Share
  • Tweet
  • Linkedin
  • Whatsapp
  • Telegram
Kommentar

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Was ist Ihr Beruf?

Wo arbeiten Sie?*

undefined
undefined

*Diese Angaben sind freiwillig. Sie bleiben im Übrigen anonym.
Warum bitten wir Sie darum? Medinside bietet Ihnen die Informationen und Beiträge kostenlos. Das bedeutet, dass wir auf Werbung angewiesen sind. Umgekehrt bedeutet es idealerweise auch, dass Ihnen auf Medinside möglichst nur Werbung gezeigt wird, die zu Ihnen passt und die Sie interessant finden könnten.
Wenn wir durch solche Erhebungen Angaben über das allgemeine Profil des Medinside-Publikums gewinnen, nützt dies allen: Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, uns und unseren Kunden. Vielen Dank!


Mehr zum Thema

image

Auch der Nationalrat will den Vertragszwang lockern

Die Gesundheitsministerin warnt, doch das Parlament setzt ein klares Zeichen: Die Zulassungspraxis soll sich ändern.

image

Ehemaliger Sympany-CEO an der Spitze von Eskamed

Michael Willer hat die Leitung von Eskamed übernommen. Das Basler Unternehmen hat sich auf die Qualitätssicherung in der Komplementär- und Präventivmedizin spezialisiert.

image
Gastbeitrag von Guido Schommer

Aufsichts-Populismus: Wer schützt die Versicherten vor der Finma?

Die Aufsichtsbehörde will den Zusatzversicherungsmarkt noch mehr regulieren. Den Versicherten hilft das nicht, im Gegenteil: Spitäler geraten unter Druck, die Spitalwahl wird eingeschränkt, die Versorgung leidet.

image

«Nur in Genf und der Waadt haben wir noch Probleme»

Die Finma genehmigt keine neuen Produkte der Krankenzusatzversicherer, solange nicht alle Transparenzanforderungen erfüllt sind – und solange sich die Ärztegesellschaften am Genfersee querstellen.

image

Prio.Swiss hält gar nichts von höheren Senioren-Prämien

Keine Abkehr vom Solidaritätsprinzip: Der neue Krankenkassenverband findet höhere Prämien für alte Menschen ungerecht – und eine unnötige Verkomplizierung.

image
Gastbeitrag von Felix Schneuwly

Beenden wir die Zwangsehe der Tarifpartner

Regulierung und Bürokratie treiben die Gesundheitskosten in die Höhe – ohne Mehrwert für die Bevölkerung. Vertragszwang, Zwangsgemeinschaft der Tarifpartner, Territorialitätsprinzip: Wir sollten solche alten Zöpfe abschneiden.

Vom gleichen Autor

image

«Geburtshilfe gehört zur Grundversorgung»

Im Aargau protestieren Politikerinnen und Politiker parteiübergreifend gegen die Schliessung der Geburtsabteilung des Spitals Muri.

image

Sechs Szenarien, ein Ausweg: Warum das Spital Zofingen privatisiert wurde

Altersmedizin, Ambulantes Zentrum, Abbruch? Der KSA-Verwaltungsrat prüfte mehrere Optionen für das Spital Zofingen. Nur der Verkauf an Swiss Medical Network war realistisch.

image

Sanierung kostet – aber GZO Spital sieht wieder Perspektiven

Der Umsatz blieb 2024 fast stabil, der Verlust fiel drastisch aus. Dennoch blickt die Leitung des GZO Spitals Wetzikon vorsichtig optimistisch nach vorne: Der Klinikbetrieb funktioniert, das neue Jahr startete mit positiven Zahlen.