Im Waadtland veröffentlichten Präsidentinnen und Präsidenten mehrerer Facharzt-Organisationen gemeinsam einen offenen Brief:
«Eine angespannte Situation und die Patienten in Geiselhaft», so der Titel des Aufrufs, den Vertreter aus Disziplinen wie Urologie, Neurochirurgie, Gastroenterologie, Augenheilkunde, Gynäkologie und Geburtshilfe sowie Orthopädie verfassst hatten.
Der Text spricht insbesondere die Aufsichtsbehörde Finma an. Und konkret ins Visier kommen neue, offenbar zunehmend verschärfte Praktiken der Versicherer bei den halbprivaten und privaten Zusatzangeboten.
Im Hintergrund steht, dass die Finma den Versicherern wie den Leistungserbringern eine Frist bis zum Anfang dieses Jahres eingeräumt hatte, um Instrumente zur Kostenregulierung zu finden, welche überhöhte und ungerechtfertigte Rechnungen verhindern können.
«Viele Krankenzusatzversicherer haben eigene Bewertungsmodelle entwickelt, um zusätzliche Leistungen zu identifizieren und zu bewerten»,
resümierte die Aufsichtsbehörde im Januar. Da sich Ärzte und Versicherer jedoch nicht über die zu verwendenden Abrechnungsinstrumente einigen konnten, kam es zu einem Machtkampf.
Verweigerte Erstattung
Seit Anfang dieses Jahres weigern sich mehrere Versicherer, bestimmte Zusatzleistungen zu übernehmen, und erzwingen durch einseitige Erstattungsgrenzen eine Senkung der privatärztlichen Honorare; wobei diese Grenzen von Versicherer zu Versicherer verschieden sind.
In der Folge müssen die Spezialisten ihre Patienten informieren, dass es keinen Tarifvertrag gibt und dass sie bei den Versicherungen früh genug eine Kostengutsprache einholen müssen. Die Versicherung legt dann fest, was sie zu erstatten bereit ist, und überlässt den Patienten den Rest der Kosten. «Nachdem Patienten ihr ganzes Leben lang Beiträge für private oder halbprivate Zusatzversicherungen gezahlt haben, müssen sie nun die Differenz aus eigener Tasche bezahlen. Sie werden dies zwangsläufig berücksichtigen und manchmal auf den Eingriff verzichten, der dennoch zu empfehlen wäre», argumentieren die Fachärzte im offenen Brief.
«Wir haben keine Kommunikation, wir haben keine Informationen von den Versicherern erhalten, weder als Versicherte noch allgemein in der Bevölkerung», berichtete Laurence Bastien Pournaras, die Präsidentin der Waadtländer Urologengesellschaft,
im Fernsehen RTS. «Es liegt also an uns Ärzten, die Patienten über diese komplexe Situation zu informieren, vor allem kranke Menschen, die sich operieren lassen müssen und sich in einer Notlage befinden.» Und weiter: «Das kostet viel Zeit, die uns bei der klinischen Arbeit fehlt.»
«Notwendige Alternative»
Die Patienten laufen also Gefahr, auf gewisse Spezialbehandlungen verzichten zu müssen, weil sie keinen ausreichenden Versicherungsschutz haben, so die Warnung der Fachärzte. «Das Schlimmste ist, wenn ich einem Patienten mitteilen muss, dass er Krebs hat und operiert werden muss… Und dann verbringe ich jetzt mehr Zeit damit, ihm den Konflikt mit der Finma zu erklären, ihm zu erklären, dass er einen Kostenvoranschlag einholen muss und dass je nach Erstattung durch die Versicherung eine Eigenbeteiligung verbleibt», sagte Laurence Bastien Pournaras.
Zudem weigerten sich einige Versicherer sogar, Patienten in bestimmten Einrichtungen und bei bestimmten Spezialisten zu versichern. Dabei hielt die Finma in ihrer Mitteilung fest, dass der Schutz der Versicherten im Vordergrund steht: «Es liegt in der Verantwortung der Krankenzusatzversicherer, die vertraglich zugesicherten Leistungen gemäss den Versicherungsbedingungen sicherzustellen.» Es sei eine aufsichtsrechtliche Anforderung, «dass sich die über die Abrechnungen der Leistungserbringer und die von den Krankenzusatzversicherern mit Prämiengeldern der Versicherten bezahlten Entschädigungen für alle Mehrleistungen in einem angemessenen und nachvollziehbaren Rahmen bewegen. Andernfalls kann ein vorübergehender oder im Einzelfall sogar dauerhafter vertragsloser Zustand mit den Leistungserbringern im Interesse der Versicherten eine notwendige Alternative darstellen.»
In Erwartung einer Lösung
«Wird es wirklich nötig sein, dass ein Patient vor Gericht geht, um seine Rechte geltend zu machen?», fragen die Waadtländer Spezialisten nun. «Erwartet man ernsthaft, dass die Ärzte bis dahin die vertragliche Haftung der Versicherer übernehmen und ihnen ihre Honorare schenken?»
«Wir selbst haben seit Anfang des Jahres nichts in Rechnung gestellt, in der Hoffnung, dass wir es schaffen würden, unser Tool zu nutzen und eine gemeinsame Basis zu finden.» — Laurence Bastien Pournaras
Angesichts der Unsicherheit über die Kostenerstattung befinden sich auch die Hausärzte in einer schwierigen Lage. Sollen sie ihre Patienten an die üblichen Spezialisten überweisen oder nicht? Die Unterzeichner des offenen Briefes betonen, dass diese Instabilität die Zusammenarbeit zwischen den Ärzten sowie die Kontinuität der Versorgung gefährdet.
Und was kommt als nächstes?
Die Situation ist zwar von Kanton zu Kanton verschieden; Genf ist besonders stark betroffen, da das Tauziehen zwischen Ärzten und Versicherern dort intensiver geworden ist. Die anderen Westschweizer Kantone sind mit ähnlichen Problemen konfrontiert.
Als Laurence Bastien Pournaras auf den allgemeinen Kontext und die jüngste Abstimmung im Nationalrat zur Lockerung des Vertragszwangs angesprochen wurde, meinte sie: «Ich denke, derzeit wird ein gefährliches Spiel gespielt, und es ist problematisch, den Versicherern die Kontrolle zu überlassen. Wenn ich sehe, wie sie derzeit Privatpatienten behandeln, habe ich ein wenig Sorge, was als Nächstes in medizinischen Wüsten oder für Patienten, die nicht über diese Einkommen verfügen, passieren wird.»
Die Fachärzte fordern eine Waadtländer Vertragslösung mit allen Versicherern und rufen die Finma auf, klare Massnahmen zum Schutz der Patienten zu ergreifen.
Interview mit Laurence Bastien Pournaras in der Sendung «Forum», «RTS», 14. März 2025.