Zusatzversicherungen: Ärzte warnen vor Versorgungslücken

«Die Patienten als Geiseln»: In der Westschweiz melden Fachärzte, dass Versicherer Leistungen kürzen – und keiner informiert die Halbprivat- und Privat-Patienten.

, 17. März 2025 um 14:42
image
Unklare Situation: Opthalmologische Betreuung  |  Bild: Brands&People / Unsplash
Im Waadtland veröffentlichten Präsidentinnen und Präsidenten mehrerer Facharzt-Organisationen gemeinsam einen offenen Brief: «Eine angespannte Situation und die Patienten in Geiselhaft», so der Titel des Aufrufs, den Vertreter aus Disziplinen wie Urologie, Neurochirurgie, Gastroenterologie, Augenheilkunde, Gynäkologie und Geburtshilfe sowie Orthopädie verfassst hatten.
Der Text spricht insbesondere die Aufsichtsbehörde Finma an. Und konkret ins Visier kommen neue, offenbar zunehmend verschärfte Praktiken der Versicherer bei den halbprivaten und privaten Zusatzangeboten.
Im Hintergrund steht, dass die Finma den Versicherern wie den Leistungserbringern eine Frist bis zum Anfang dieses Jahres eingeräumt hatte, um Instrumente zur Kostenregulierung zu finden, welche überhöhte und ungerechtfertigte Rechnungen verhindern können.
«Viele Krankenzusatzversicherer haben eigene Bewertungsmodelle entwickelt, um zusätzliche Leistungen zu identifizieren und zu bewerten», resümierte die Aufsichtsbehörde im Januar. Da sich Ärzte und Versicherer jedoch nicht über die zu verwendenden Abrechnungsinstrumente einigen konnten, kam es zu einem Machtkampf.

Verweigerte Erstattung

Seit Anfang dieses Jahres weigern sich mehrere Versicherer, bestimmte Zusatzleistungen zu übernehmen, und erzwingen durch einseitige Erstattungsgrenzen eine Senkung der privatärztlichen Honorare; wobei diese Grenzen von Versicherer zu Versicherer verschieden sind.
In der Folge müssen die Spezialisten ihre Patienten informieren, dass es keinen Tarifvertrag gibt und dass sie bei den Versicherungen früh genug eine Kostengutsprache einholen müssen. Die Versicherung legt dann fest, was sie zu erstatten bereit ist, und überlässt den Patienten den Rest der Kosten. «Nachdem Patienten ihr ganzes Leben lang Beiträge für private oder halbprivate Zusatzversicherungen gezahlt haben, müssen sie nun die Differenz aus eigener Tasche bezahlen. Sie werden dies zwangsläufig berücksichtigen und manchmal auf den Eingriff verzichten, der dennoch zu empfehlen wäre», argumentieren die Fachärzte im offenen Brief.
«Wir haben keine Kommunikation, wir haben keine Informationen von den Versicherern erhalten, weder als Versicherte noch allgemein in der Bevölkerung», berichtete Laurence Bastien Pournaras, die Präsidentin der Waadtländer Urologengesellschaft, im Fernsehen RTS. «Es liegt also an uns Ärzten, die Patienten über diese komplexe Situation zu informieren, vor allem kranke Menschen, die sich operieren lassen müssen und sich in einer Notlage befinden.» Und weiter: «Das kostet viel Zeit, die uns bei der klinischen Arbeit fehlt.»

«Notwendige Alternative»

Die Patienten laufen also Gefahr, auf gewisse Spezialbehandlungen verzichten zu müssen, weil sie keinen ausreichenden Versicherungsschutz haben, so die Warnung der Fachärzte. «Das Schlimmste ist, wenn ich einem Patienten mitteilen muss, dass er Krebs hat und operiert werden muss… Und dann verbringe ich jetzt mehr Zeit damit, ihm den Konflikt mit der Finma zu erklären, ihm zu erklären, dass er einen Kostenvoranschlag einholen muss und dass je nach Erstattung durch die Versicherung eine Eigenbeteiligung verbleibt», sagte Laurence Bastien Pournaras.
Zudem weigerten sich einige Versicherer sogar, Patienten in bestimmten Einrichtungen und bei bestimmten Spezialisten zu versichern. Dabei hielt die Finma in ihrer Mitteilung fest, dass der Schutz der Versicherten im Vordergrund steht: «Es liegt in der Verantwortung der Krankenzusatzversicherer, die vertraglich zugesicherten Leistungen gemäss den Versicherungsbedingungen sicherzustellen.» Es sei eine aufsichtsrechtliche Anforderung, «dass sich die über die Abrechnungen der Leistungserbringer und die von den Krankenzusatzversicherern mit Prämiengeldern der Versicherten bezahlten Entschädigungen für alle Mehrleistungen in einem angemessenen und nachvollziehbaren Rahmen bewegen. Andernfalls kann ein vorübergehender oder im Einzelfall sogar dauerhafter vertragsloser Zustand mit den Leistungserbringern im Interesse der Versicherten eine notwendige Alternative darstellen.»

In Erwartung einer Lösung

«Wird es wirklich nötig sein, dass ein Patient vor Gericht geht, um seine Rechte geltend zu machen?», fragen die Waadtländer Spezialisten nun. «Erwartet man ernsthaft, dass die Ärzte bis dahin die vertragliche Haftung der Versicherer übernehmen und ihnen ihre Honorare schenken?»
«Wir selbst haben seit Anfang des Jahres nichts in Rechnung gestellt, in der Hoffnung, dass wir es schaffen würden, unser Tool zu nutzen und eine gemeinsame Basis zu finden.» — Laurence Bastien Pournaras
Angesichts der Unsicherheit über die Kostenerstattung befinden sich auch die Hausärzte in einer schwierigen Lage. Sollen sie ihre Patienten an die üblichen Spezialisten überweisen oder nicht? Die Unterzeichner des offenen Briefes betonen, dass diese Instabilität die Zusammenarbeit zwischen den Ärzten sowie die Kontinuität der Versorgung gefährdet.

Und was kommt als nächstes?

Die Situation ist zwar von Kanton zu Kanton verschieden; Genf ist besonders stark betroffen, da das Tauziehen zwischen Ärzten und Versicherern dort intensiver geworden ist. Die anderen Westschweizer Kantone sind mit ähnlichen Problemen konfrontiert.
Als Laurence Bastien Pournaras auf den allgemeinen Kontext und die jüngste Abstimmung im Nationalrat zur Lockerung des Vertragszwangs angesprochen wurde, meinte sie: «Ich denke, derzeit wird ein gefährliches Spiel gespielt, und es ist problematisch, den Versicherern die Kontrolle zu überlassen. Wenn ich sehe, wie sie derzeit Privatpatienten behandeln, habe ich ein wenig Sorge, was als Nächstes in medizinischen Wüsten oder für Patienten, die nicht über diese Einkommen verfügen, passieren wird.»
Die Fachärzte fordern eine Waadtländer Vertragslösung mit allen Versicherern und rufen die Finma auf, klare Massnahmen zum Schutz der Patienten zu ergreifen.
Interview mit Laurence Bastien Pournaras in der Sendung «Forum», «RTS», 14. März 2025.

Artikel teilen
  • Share
  • Tweet
  • Linkedin
  • Whatsapp
  • Telegram
Kommentar

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Was ist Ihr Beruf?

Wo arbeiten Sie?*

undefined
undefined

*Diese Angaben sind freiwillig. Sie bleiben im Übrigen anonym.
Warum bitten wir Sie darum? Medinside bietet Ihnen die Informationen und Beiträge kostenlos. Das bedeutet, dass wir auf Werbung angewiesen sind. Umgekehrt bedeutet es idealerweise auch, dass Ihnen auf Medinside möglichst nur Werbung gezeigt wird, die zu Ihnen passt und die Sie interessant finden könnten.
Wenn wir durch solche Erhebungen Angaben über das allgemeine Profil des Medinside-Publikums gewinnen, nützt dies allen: Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, uns und unseren Kunden. Vielen Dank!


Mehr zum Thema

image

Hirslanden einigt sich mit der CSS – diese zahlt wieder

Die Hirslanden-Gruppe und die Krankenkasse CSS haben sich auf neue Tarife für Halbprivat- und Privatversicherte geeinigt.

image

Der Druck der Finma zeigt Wirkung

Rund 1700 Verträge zwischen Spitälern und Krankenzusatzversicherern müssen laut den neuen Transparenzvorschriften angepasst werden.

image
Gastbeitrag von Marco Gugolz

Zusatzversicherte: Die Mär von der Goldmine

Preisüberwacher Stefan Meierhans macht Stimmung gegen Zusatzversicherungen. Doch die offiziellen Zahlen des Bundes zeigen, dass sein Vorwurf einer Überversorgung nicht stimmt.

image

Zusatzversicherung: Steigende Nachfrage nach Flexangeboten

Weniger Menschen lassen sich halbprivat oder privat versichern. Und die meisten Zusatzversicherten leben im Kanton Zürich. Das besagt eine neue Studie für Santésuisse.

image

Auch NZZ bemängelt die heutigen Spital-Zusatzversicherungen

«Spitäler und Kassen schröpfen ihre Luxuspatienten», so eine Einschätzung dort. Das Geschäftsmodell mit den Zusatzversicherungen gerät ins Wanken.

image

Die heisse Diskussion um Insel-Premium-Abteilung

Darf ein Universitätsspital mit seiner Luxus-Abteilung die Allgemein-Abteilung sponsern? Ja, das sei sozial, finden Krankenkassen-Experten.

Vom gleichen Autor

image

Was tun gegen die Personalnot? Mehr Macht für die Pflege.

In Frankreich werden die Kompetenzen der Pflegefachleute bald drastisch erweitert. Die Nationalversammlung hat ein entsprechendes Gesetz durchgewunken – einstimmig.

image

Covid: Eine Patentlösung für Pflegeheime gab es nicht

Die Pflegeheime standen in der Pandemie an vorderster Front. In Genf ging nun eine Studie der Frage nach: Was hätten sie besser machen können?

image

Pflege plus Integration: Freiburg startet Pilotprojekt

Der Kanton reagiert auf den Pflegepersonal-Mangel mit einer Spezial-Ausbildung: Sie verbindet Sprachunterricht mit beruflichem Einstieg in Pflegeheimen.