Die Ergebnisse der aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gfs, im Auftrag der Ärzteverbindung FMH (1), zeigen einen eindeutigen Befund. Ärztinnen und Ärzte beurteilen die Qualität der Zusammenarbeit im Zeitraum zwischen 2011 und 2015
noch schlechter als in der vorangehenden Umfrage. Die Bedeutung und der Nutzen einer funktionierenden Kooperation zwischen den Ärzten und Spitalmanagern ist allen Beteiligten klar. Warum gelingt es trotzdem nicht, diese Zusammenarbeit positiv zu gestalten?
Um diese Entwicklung zu verstehen, ist es notwendig sich mit dem unterschiedlichen Selbstverständnis der beiden Professionen auseinanderzusetzen. Wie eine Untersuchung des Wirtschaftswissenschaftlichen Zentrum (WWZ) der Universität Basel (2) belegt, zeigen die vorhandenen Unterschiede deutliche Auswirkungen auf das jeweilige Führungsverständnis und das Verhältnis der beiden Gruppen zueinander. Die Spitalmanager sehen sich zuständig und verantwortlich für das Spital in seinem politischen und wirtschaftlichen Umfeld und für seine Zukunft als Ganzes. Führungsentscheide werden in erster Linie aus einer wirtschaftlichen und strategischen Perspektive heraus gefällt. Die Ärzteschaft sieht sich primär zuständig und verantwortlich für die qualifizierte Patientenbehandlung, das eigentliche Kerngeschäft des Spitals. Ihre Perspektive ist deshalb keine institutionelle, sondern eine fallbezogene und disziplinäre. Diese unterschiedlichen Sichtweisen sind bei den Individuen tief verankert, sie können weder ignoriert noch nivelliert werden! Für einen besseren Umgang und eine inhaltliche Verständigung braucht es einen anderen Umgang mit Diversität.
Ein kompetenter Umgang mit Vielfalt beginnt bei der Wahrnehmung von Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen Menschen, resp. den Professionen. Das Konzept der interprofessionellen Zusammenarbeit (3) verspricht eine erfolgreiche Entwicklung dieser Kompetenz. Dabei darf es sich allerdings nicht nur um ein Lippenbekenntnis handeln, sondern es müssen die notwendigen Voraussetzungen geschaffen und die Inhalte glaubwürdig gelebt werden.
Damit die interprofessionelle Zusammenarbeit gelingt, müssen alle Beteiligten sowohl ihre Rolle, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten sowie diejenigen ihrer Kooperationspartner kennen. Die Regeln, Verbindlichkeit und Struktur für die Zusammenarbeit sind zu definieren und kommunizieren. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Verantwortlichkeiten korrekt wahrgenommen und auch einer rechtlichen Beurteilung standhalten.
Die interprofessionelle Zusammenarbeit wird durch die verschiedenen Führungsstile massgeblich beeinflusst. Steile Hierarchien und ausgeprägtes Statusdenken stellen Barrieren dar. Wird demgegenüber von der Führung gegenseitige Akzeptanz und Wertschätzung vorgelebt, sind verbindliche Ziele für die gesamte Organisation hinterlegt und finden entsprechende Beachtung, so findet die interprofessionelle Zusammenarbeit einen sehr guten ‘Nährboden’, um wachsen und gedeihen zu können. Mit fachübergreifenden Weiterbildungsangeboten kann die interprofessionelle Zusammenarbeit ebenfalls nachhaltig gefördert werden.
Fazit: Die zunehmende Ressourcenverknappung in allen Bereichen zwingt uns in Zukunft die Zusammenarbeit unter den einzelnen Berufsgruppen noch viel effizienter zu gestalten. Der Spitalleitung, die mehrheitlich mit Ärzten und Managern besetzt ist, kommt dabei eine wichtige Vorbildfunktion zu. Dieser Umstand ist eine grosse Chance, die es zu nutzen gilt!
- (1) Begleituntersuchung stationäre Tarifsysteme im Auftrag der FMH durch die gfs.bern, 2019
- (2) Führung in Spitälern – Führungsselbstverständnisse von Managern und Medizinern im Vergleich von Nada Endrissat und Werner R. Müller, WWZ Forum 2007
- (3) Die ‘Charta zur Zusammenarbeit der Gesundheitsfachleute’, der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW)
Eveline Mettier Wiederkehr, Autorin des Buches ‘Excellence im Schweizer Gesundheitswesen’ und Leitung Mettier Projekte.